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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Schumacher
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ratlose Octavia allein zurück und ging langsam die
Treppe zum Gästeapartment hoch. Endlich ein Anhaltspunkt, mit dem sie arbeiten
konnte. Dieser Gedanke beflügelte sie. Sie wollte sich Notizen machen und ihre
nächsten Schritte planen.
    Auf der zweiten Etage fand sie zu ihrer Überraschung die Tür, die
zum Saal mit der großen Gemäldesammlung des Conte führte, offen stehen. Flavia
hatte es offenbar versäumt, sie hinter sich zu schließen. Antonia betrat den
kleinen Vorraum. Leise näherte sie sich dem Saal, der von oben – wie in einem
Museum – durch einen großen Lichtschacht erhellt wurde und an dessen hohen
Wänden großformatige Gemälde hingen. Ringsum verlief an allen Seiten eine
Galerie, auf der weitere Bilder hingen.
    Flavia war offenbar so in ihre Arbeit vertieft, dass sie Antonias
Eintreten nicht bemerkt hatte. Sie stand mit dem Rücken zu ihr; ihre
Arbeitsutensilien, Staubwedel, Tücher und Reinigungsmittel, lagen am Fuß der
Treppe, die auf die Galerie führte. Anscheinend hatte sie oben noch nicht
angefangen. Sie schien jedoch auch unten nicht mit Reinigen beschäftigt zu
sein, denn sie ging von einem Bild zum anderen und tastete die Rahmen von
hinten ab, indem sie ihre Finger zwischen Bild und Wand schob und systematisch
von oben nach unten gleiten ließ. Vielleicht hatte der Conte ihr befohlen, auch
hinter den Bilderrahmen zu putzen.
    Flavia war so auf ihr Tun konzentriert, dass Antonia sich leise
wieder zurückbewegen konnte, ohne dass ihre Anwesenheit bemerkt wurde. Dann
klopfte sie laut an der Tür und tat so, als sei sie eben erst eingetreten.
    Flavia antwortete mit einem lauten »Si!« und rieb jetzt geschäftig
mit einem Tuch über den in der Mitte des Raums auf einer Drehscheibe fixierten
Sessel, von dem aus der Conte seine Schätze in alle Richtungen genießen konnte.
    Antonia fragte, ob sie einen Blick auf die Bilder werfen dürfe.
Flavia stimmte dem mit einem mürrischen »Prego« zu, dann widmete sie sich
wieder dem Drehsessel, dem einzigen Möbelstück im Raum, ging auf die Knie und
bearbeitete eine kleinere Fläche im Parkett. Es schien so, als betrachte der
Conte am liebsten die Bilder an der rechten Wand, denn auf dieser Seite des
Stuhls war der Boden deutlich abgenutzt.
    Antonia sagte artig »Grazie«, machte einmal die Runde an den Wänden
entlang und ging dann rasch zurück in ihr Apartment.
    Auf dem Küchentisch lagen ihre Notizen vom Vortag. Als sie sich
hinsetzte, um die neuen Eindrücke festzuhalten, schien es ihr, als lägen die
Papiere anders da als am Morgen.
    Gegen sieben Uhr klopfte es an der Tür der Gästewohnung. Es war
Jana, die sie zu einem Aperitif im »Già Schiavi« abholen wollte. Florian hatte
eine SMS geschrieben, dass er mit den Kollegen
und dem Gastprofessor zu Abend essen wolle und vorher in der Weinbar
vorbeikäme.
    Während Jana das Angebot mit den Häppchen in der Vitrine studierte,
wirbelten Antonia die Gedanken wie Konfetti im Kopf herum. War Aram Singer der
Mann, dessen Besuch den Conte so aufgeregt hatte? Steckte er hinter den
anonymen Briefen? Gab es eine Verbindung des Conte in die USA ? Welche Beziehungen hatte er zum internationalen
Kunstmarkt? War er tatsächlich ein Verräter und Dieb, wie in den Briefen
geschrieben stand? Oder ging es um eine politische Abrechnung?
    Sie bestellte sich geistesabwesend einen Spritz und nahm ebenso
abwesend das Getränk entgegen. Der Mann mit dem Zopf, den sie so sympathisch
fand, schaute sie dabei aufmerksam an. Als sie die zwei Euro für den Aperitif
auf den Tresen legte, bedankte er sich freundlich. Antonia schaute erstaunt
auf. Das war neu. Sie ging zu Jana und fragte halblaut: »Wie heißt der
eigentlich?«
    »Das ist Luca. Er ist ein bisschen scheu.« Jana biss in eines ihrer
Häppchen. »Mhhm, die Padrona hat wieder etwas Neues kreiert. Probier mal:
Käsecreme mit Feige und Kakaopuder, phantastisch!«
    Antonia sah verstohlen zu Luca hinüber, und Jana folgte ihrem Blick.
    »Wieso interessiert er dich?«
    »Ich weiß nicht, er erinnert mich an einen früheren Freund, Pierre,
du weißt …«
    »Bist du immer noch nicht über seinen Tod hinweg?«
    Janas Stimme hatte einen ungeduldigen Ton bekommen. Antonia war von
Janas Kälte irritiert.
    »Für meine Erinnerungen kann ich schließlich nichts …«, setzte sie
zu einer Erklärung an. Aber Jana war schon wieder an den Tresen mit der
schwarz-rot gesprenkelten Granitplatte getreten und bestellte sich auch ein
Glas Spritz. Dann wandte sie den Kopf um und

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