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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Schumacher
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Portal verabschiedete sich Florian von Antonia.
»Ciao, auch du, meine junge Braut …!«
    Antonia tippte sich an die Stirn und schlenderte über den Platz in
Richtung Accademia-Brücke. Sie hatte noch eine halbe Stunde Zeit bis zu ihrer
Verabredung. Jana wollte ihr ein Gemälde von Tizian zeigen.
    Sie lehnte sich über die Mauerbefestigung des Rio di San Trova und
sah eine Weile in das grüne Wasser hinab. Das Leben im Stadtteil Dorsoduro
verlief ziemlich gemächlich. Lediglich zwei Frauen, die offenbar vom Einkaufen
zurückkamen, und ein paar Touristen waren unterwegs. Sie fragte sich gerade,
wieso man Touristen so leicht von Einheimischen unterscheiden konnte und
weshalb sich Menschen auf Reisen anders als zu Hause kleideten, als sie schräg
gegenüber, auf der anderen Seite des Kanals, einen Mann aus der Tür eines
kleineren Palazzos treten sah, der ihr bekannt vorkam. Antonia drehte sich um
und tat so, als betrachte sie die Auslagen eines Schaufensters. Als der Mann
weiterging, erkannte sie an seinem abgehackten Gang, dass es sich um Janas
Onkel Guido handeln musste. Ob er dort wohnte?
    Dann ging sie weiter, nur um immer wieder träumerisch stehen zu
bleiben. Der Morgen war wundervoll. In der Nacht hatte es geregnet. Jetzt
spannte sich ein zartblauer Himmel über die Dächer. Es duftete nach Espresso,
und die Gassen und Plätze wirkten wie vom nächtlichen Regen erfrischt. Als sie
in die nächste Gasse einbog, sah sie plötzlich ein paar Schritte vor sich Jana,
die aus einem Laden mit Schreibwarenbedarf trat. Fast wäre sie mit der Freundin
zusammengestoßen.
    »Jana, wir wollten uns doch in der Uni treffen! Wieso bist du hier?«
    Jana schien verwirrt. Ihr Gesicht war leicht gerötet, und aus dem
hochgesteckten Haar hatten sich ein paar Strähnen gelöst.
    »Ich … musste noch etwas erledigen. Aber es ist schön, dass wir uns
hier treffen, dann können wir direkt zum Rialto fahren. Ich will mit dir in die
Kirche San Salvador, um Tizians ›Verkündigung‹ anzusehen.«
    »Ich habe übrigens gerade deinen Onkel gesehen. Warum geht er
eigentlich so sonderbar? Irgendwie gehemmt.«
    Antonia sah, wie Jana rot wurde.
    »Du hast Onkel Guido gesehen? … Ja, dieser Gang. Er hat seit einem
Jahr Parkinson. Das macht ihm sehr zu schaffen. Er hat Angst, dass sich sein
Zustand verschlechtert. Aber im Moment bekommt er Medikamente, die ihm helfen.«
    Sie gingen zur Accademia-Brücke und nahmen einen verschrammten
übervollen Vaporetto der Linie 1, der in Richtung Bahnhof fuhr. In der
Nähe der Rialto-Brücke stiegen sie aus und schlenderten zur Kirche San
Salvador.
    Jana hatte schon als Studentin im ersten Semester, befördert durch
ihren kunstsinnigen Großvater, großes Interesse an der venezianischen Malerei
gezeigt und sich im Laufe des Studiums immer stärker auf Tizian konzentriert.
Der Conte, der, wie sie Antonia erzählt hatte, in allen möglichen Vereinen zur
Förderung der italienischen Kunst saß, hatte ihr zu einem Stipendium und zur
Veröffentlichung ihrer Aufsätze verholfen. Seit einem Jahr arbeitete sie nun an
ihrer Doktorarbeit über Tizian, den Maler, den ihr Großvater am meisten
verehrte. Antonia vermutete, dass sie auch die Assistentenstelle an der
Universität durch Protektion bekommen hatte.
    Im Inneren der Kirche umfing sie dämmriges Licht. Jana ging
zielstrebig auf die »Verkündigung« zu, die in einem Seitenaltar hing. Sie warf
eine Münze in einen kleinen Kasten, und die Beleuchtung des Bildes schaltete
sich ein.
    »Tizian hat die ›Verkündigung‹ anders als die üblichen Auffassungen
des Geschehens zwischen dem Engel und Maria dargestellt«, begann sie. Dann trat
sie näher an Antonia heran und flüsterte ihr fast verschwörerisch zu: »Tizian
zeigt das Ganze weniger lieblich. Eher aggressiv. Sieh mal: Maria weicht
zurück, so als hätte sie Angst und müsse sich schützen. Die ganze Szene hat
etwas Bedrohliches und Gewaltsames …«
    Antonia betrachtete das Gemälde aufmerksam und musste der Freundin
beipflichten. »Der Abstand zwischen den beiden ist auch geringer als sonst. Der
Engel ist Maria schon ziemlich nah.«
    Der große Engel schien im Sturmschritt die Szene zu betreten, um
Maria ihre Zukunft zu verkündigen.
    Jana nickte. »Da hast du recht. Es gibt ein anderes Bild mit der
gleichen Szene, das hängt in Neapel. Der Engel ist da weiter entfernt, Maria
verneigt sich demütig und hat ihre Hände über der Brust gekreuzt. Hier hält sie
den Schleier hoch und wendet sich ab. Tizian

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