Canale Mortale (German Edition)
immer
dann einstellte, wenn sie sich unter Druck gesetzt fühlte, und nahm noch einen
großen Schluck Tee.
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Ich habe Angst um meinen Vater.« Octavias Stimme zitterte jetzt ein
wenig. »Er ist so leicht zu erschüttern, und vielleicht sind diese Leute
gefährlich …«
»Ich denke, sie wollen Geld. Ich weiß allerdings noch nicht, wie sie
es anstellen wollen. Aber ich hätte da noch eine Frage.«
»Ja?«
»Sie sagten, der erste Brief sei vor Weihnachten eingetroffen. Ihr
Vater war seitdem überwiegend in der Schweiz. Hat sich vor seiner Abreise etwas
ereignet? Gab es einen Vorfall, irgendetwas, das anders war als sonst, etwas
Ungewöhnliches?«
»Nein. Unser Leben hier ist geordnet und verläuft in absolut ruhigen
Bahnen. Allerdings …« Octavia zog ihre Stola enger um die Schultern. »Vater war
einige Tage bettlägrig, bevor er Ende Januar wieder abreiste. Sein Herz, ich
sagte es ja bereits. Er hatte zweimal diesen Kunsthändler zu Besuch. Ich hatte
ihn gewarnt, denn schon nach dem ersten Besuch ging es ihm schlecht, aber er
wollte den Mann unbedingt empfangen …«
»Ein Kunsthändler? Wer war das? Jemand aus Venedig?«
»Nein, ein Amerikaner. Aus Baltimore. Mein Vater erwähnte die Stadt.
Ich erinnere mich daran, weil wir beide nicht wussten, wo genau sie in den USA liegt.«
»Haben Sie den Mann kennengelernt?«
»Nein, ich habe ihn nur kurz gesehen. Mein Vater zog sich mit ihm
ins Arbeitszimmer zurück. Der Mann war etwa sechzig bis Mitte sechzig, hatte
ein gepflegtes, aber unauffälliges Äußeres und einen grauen Bürstenhaarschnitt
… Mein Vater war nach diesem Besuch sehr durcheinander. Er musste ein
Beruhigungsmittel nehmen, wollte mir aber nicht sagen, worum es ging. Ich
dachte, wahrscheinlich war der Mann jemand, der nichts von Bildern versteht und
ihm für wenig Geld etwas aus der Sammlung abschwatzen wollte.«
»Wann genau war der erste Besuch?«
»Das muss Ende November gewesen sein. Er ist dann im Januar noch
einmal zu Besuch gekommen. Ich erinnere mich noch sehr genau. Vater und ich
saßen gerade im Salon und hörten eine alte Aufnahme, Beethovens 6. Sinfonie
von Toscanini dirigiert, die mein Vater sehr liebt, weil er sie oft mit meiner
Mutter angehört hat. Wir hatten sie verliehen und an diesem Morgen
zurückbekommen. Flavia meldete dann einen Besucher, den Herrn aus den USA . Mein Vater ging mit dem Mann sofort in sein
Arbeitszimmer. Der Besucher blieb nicht lange, und mein Vater kam nicht in den
Salon zurück. Als ich ins Arbeitszimmer kam, um nach ihm zu sehen, saß er
zusammengesunken im Sessel. Es ging ihm nicht gut. Ich habe seine Kardiologin
gerufen, die ihm Bettruhe verordnete und ihm empfahl, wieder zu seiner
Schwester in die Schweiz zu gehen.«
Die Tochter des Conte zündete sich eine neue Zigarette an.
»Wissen Sie den Namen des Händlers?«
Octavia nahm zwei Züge von der Zigarette, bevor sie antwortete.
Wieder blies sie den Rauch in sauberen Kringeln in Richtung Decke. Antonia
dachte für einen Augenblick, dass die ordentlichen Rauchringe, die über ihnen
schwebten und sich langsam auflösten, zu Janas Mutter passten, unterstrichen
sie doch, wie kontrolliert Octavia war.
»In dem ganzen Durcheinander habe ich vergessen, danach zu fragen.
Ich weiß nur, dass er meinen Vater letztes Jahr im ›Quadri‹ angesprochen hat.
Jemand muss ihm den Tipp gegeben haben, dass er dort nachmittags seinen Kaffee
trinkt. Dann ist er hier unangemeldet vorbeigekommen. Am nächsten Tag reiste
Papa dann in die Schweiz und kam erst kurz vor Weihnachten zurück. Dann hat uns
dieser Amerikaner wie gesagt im Januar noch einmal besucht, und danach hatte
mein Vater den Schwächeanfall. Ich habe mich dann nicht mehr getraut, ihn auf
diese Besuche anzusprechen aus Angst, es könnte ihn zu sehr aufregen.«
»Was ist mit Flavia? Vielleicht kann sie sich an den Namen des
Händlers erinnern.«
Octavia drückte ihre Zigarette aus, stand auf und strich ihren Rock
glatt. »Ich werde sie fragen. Ich glaube, der Amerikaner hat sogar seine Karte
abgegeben.«
Octavia ging zur Tür und wechselte ein paar Worte mit der
Hausangestellten, die offenbar immer noch im Flur auf der Leiter stand.
Als Flavia eintrat, schien sich der Raum durch ihr Erscheinen um
einige Grad abzukühlen. Ihre Haut wirkte gegen den dunklen Kittel, den sie zur
Arbeit trug, merkwürdig wächsern. Octavia fragte sie nach dem Namen des Mannes,
der den Conte im Januar besucht hatte. Flavia schien
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