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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Schumacher
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ein.
Irgendetwas war mit seiner linken Hand, aber Antonia konnte auf die Entfernung
nicht erkennen, was es war.
    An der Wand hinter den beiden hingen Plakate von Inter Mailand und
dem venezianischen Fußballclub sowie ein blaues Spielershirt. Das Motiv reizte
sie. Sie wartete so lange, bis sich ein paar Gäste vom Tresen verabschiedet
hatten, sodass sie freie Sicht hatte, und machte rasch ein Foto. Dann zahlte
sie und ging. Sie wollte vermeiden, dass Guido sich umdrehte und sie vielleicht
wiedererkannte. An dem Tag, als sie in Janas Boot angekommen waren, hatte er
jedenfalls interessiert zu ihr herübergeschaut.
    Auf der Treppe des Palazzos kam ihr Jana entgegen. Sie war in
Eile.
    »Ich habe noch ein paar Einkäufe zu erledigen, mein Großvater hat
angerufen. Er kommt schon heute zurück, und Giovanna ist in heller Aufregung. Sie
will ihm etwas ganz Besonderes kochen.«
    Der allabendliche Besuch in der Weinbar »Già Schiavi« musste
ausfallen, stattdessen gab es am frühen Abend ein opulentes Essen. Giovanna
hatte sich mächtig ins Zeug gelegt und angesichts der Rückkehr des Hausherrn
mehrere Gänge gekocht.
    »Was reden wir denn mit deinem Großvater?«, hatte Florian Jana
besorgt gefragt. Auch Antonia sah der Ankunft des Conte mit gemischten Gefühlen
entgegen. Sie würde ihn mit den Drohbriefen konfrontieren müssen, etwas, was
ihrer Meinung nach seine Tochter längst hätte machen sollen. Keine angenehme
Aufgabe.
    »Am besten, ihr verhaltet euch ganz normal. Und viel reden werdet
ihr nicht müssen, wahrscheinlich wird er euch etwas über venezianische Malerei
erzählen wollen, dazu müsst ihr nicht viel sagen. Er spricht dann immer von den
drei großen T: Tintoretto, Tizian und Tiepolo, seine Götter. Für ihn der
Inbegriff der venezianischen Malerei und der Malerei überhaupt.«
    Als der Conte dann am Abend das Speisezimmer betrat, in dem die
Familie und ihre deutschen Gäste hinter ihren Stühlen stehend auf ihn warteten,
war Antonia überrascht. Es schien, als ob das Licht im Raum durch seine
Gegenwart für einen Augenblick heller wurde. Mauro di Falieri strahlte eine
große Würde aus. Er hatte weißes Haar und wirkte trotz seiner sechsundachtzig
Jahre vital. Er war groß und hager, mit buschigen weißen Augenbrauen über
hellen Augen. Lediglich eine bläuliche Verfärbung der Lippen deutete auf das
Herzleiden hin, von dem Octavia gesprochen hatte. Er verbeugte sich zur
Begrüßung leicht in Richtung seiner deutschen Gäste und sagte dann leise an
alle gewandt: »Bitte setzt euch!«
    Während des Essens unterhielt sich der Conte fast ausschließlich mit
seiner Tochter und seiner Enkelin, die links und rechts von ihm saßen. An die
beiden Gäste aus Deutschland wandte er sich kaum. Sein Tonfall ließ darauf
schließen, dass er mehr aus Höflichkeit als aus Interesse Antonia nach ihren
Eindrücken von der Stadt fragte. Jana flüsterte Antonia zu: »Jetzt kommen
gleich die drei großen T, du weißt schon …«
    Antonia erzählte von ihrem Besuch im Accademia-Museum und ihrer
Begeisterung für Carpaccios Bild »Der Traum der heiligen Ursula«.
    Wenn sie Zustimmung erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. Der Conte
lehnte sich in den Lehnstuhl zurück, in dem er am Kopfende des Tisches saß, und
betupfte sich die Lippen mit der Serviette. Dann faltete er das Leinentuch
umständlich zusammen und begann mit sonorer Stimme von der Schönheit der
venezianischen Malerei zu sprechen.
    »Wenn Sie unsere Malerei verstehen wollen, dann empfehle ich Ihnen
das Studium der drei großen T: Tizian, Tintoretto und Tiepolo!«
    Antonia senkte den Kopf, weil sie sich ein Lächeln nicht verkneifen
konnte. Florian, der neben ihr saß, stieß sie unauffällig mit dem Ellbogen an.
Der Conte setzte seine Ausführungen fort und sprach über die großen Zentren der
italienischen Kunst, Rom, Florenz und Venedig, um dann abschließend seine Rede
von den drei großen T zu wiederholen. Nach einem kurzen Schweigen der
Tischgesellschaft ergriff Antonia das Wort:
    »Und Sie, Conte Falieri, besitzen Sie selbst ein Bild von einem
dieser Maler?«
    Jana, offenbar erschrocken über die Direktheit der Frage, wandte
ihrem Großvater den Kopf zu. Der alte Mann schien Antonia nicht verstanden zu
haben und forderte Jana auf, die Frage zu wiederholen. Nachdem Jana sie noch
einmal gestellt hatte, entstand eine merkwürdige Stille. Anstatt zu antworten,
riss der Conte seinen Kopf hoch und starrte Antonia an, als sei sie eine
Erscheinung aus einer anderen

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