Canale Mortale (German Edition)
Singer.
Als sie das Zimmer verlassen wollte, ertönte von irgendwoher eine
Melodie, die sie als Handy-Klingelton erkannte. Sie suchte auf dem Tisch und
zwischen den Kissen auf Janas Bett, bis sie mit dem Fuß gegen einen
pinkfarbenen Gegenstand stieß, der neben dem Bett auf dem Boden lag. Es war
Janas Handy. Jana beklagte sich oft, dass sie ihre Sachen verlegte oder verlor.
Das Handy musste ihr heruntergefallen sein. Antonia hob es auf und warf einen
Blick auf das Display. Der Anrufer war Janas Onkel Guido. Einen Augenblick lang
wollte sie das Telefon auf den Schreibtisch legen und das Zimmer verlassen,
dann entschloss sie sich, abzuheben.
»Pronto!«
Eine angenehme männliche Stimme fragte nach kurzem Zögern: »Jana,
bist du es?«
Antonia stellte sich kurz vor und fragte nach seinem Namen. Der Mann
bestätigte, dass er Guido Massato sei, und fragte: »Che desidera? Sie wünschen
bitte?«
Antonia zögerte nicht lange. »Signor Massato, hätten Sie Zeit, einen
Kaffee mit mir zu trinken? Ich hätte Ihnen gerne ein paar Fragen gestellt.«
Am anderen Ende war es ein paar Sekunden still.
»Es ist im Interesse Janas«, fügte sie schnell hinzu.
Wieder Stille. Dann, nach einem kleinen Räuspern, antwortete Guido,
dass er bereit sei, sie zu treffen. Warum nicht gleich? Er schlug ein Café am
Campo Santa Margherita vor. Man könne dort draußen sitzen. Vielleicht habe sie
ja Lust, etwas mit ihm zu essen. Antonia sagte zu. Sie legte Janas Handy gut
sichtbar auf den Schreibtisch und lief nach oben, um sich für das Treffen
umzuziehen.
Als sie das Schlafzimmer des Apartments betrat, bemerkte sie, dass
Flavia Florians Sachen, die bisher auf zwei Stühlen und teilweise auf dem Boden
gelegen hatten, auf Bügel gehängt und im Kleiderschrank verstaut hatte. Auch
fiel ihr auf, dass ihre eigenen Sachen, die vorher links im Schrank hingen,
jetzt rechts von Florians Anzügen platziert waren. Vielleicht hatte sie den
Kleiderschrank von innen gereinigt und alle Sachen herausgenommen?
Antonia nahm ihren Handkoffer aus dem Schrank und öffnete ihn. Sie
hatte ihr Geld und ihren Reisepass in einem Innenfach gelassen und den Koffer
nicht abgeschlossen. Geld und Pass waren noch da, wo sie sie deponiert hatte.
Sie wollte den Deckel gerade schließen, als sie bemerkte, dass einer ihrer
Reisepantoffel, die sie immer in einem Seitenfach verstaute und die sie diesmal
auszupacken vergessen hatte, mitten im Koffer lag. Vielleicht hatte sie ihn
unbemerkt herausgezogen, oder er war aus dem Fach gerutscht. Vielleicht hatte
ihn aber auch jemand anderes herausgezogen und vergessen, ihn zurückzustecken.
Ein T-Shirt, das Florian nicht an ihr mochte und das Antonia ganz nach unten
gepackt hatte, lag jetzt zuoberst. Also war doch jemand an ihrem Koffer
gewesen. Florian? Oder Flavia? Antonia stand auf, ging zur Wohnungstür und
versperrte sie von innen.
Flavia hatte womöglich das Putzen des Apartments ausgenutzt, um
nachzusehen, ob sie Wertgegenstände dabeihatten. Oder war vielleicht jemand von
den Handwerkern, die das Dach reparierten, im Zimmer gewesen?
Sie griff nach ihrem Handy und rief Florian an. Er hob erst nach
langem Klingeln ab und meldete sich mit leiser Stimme.
»Florian, warst du an meinem Koffer? Wenn nicht, dann hat Flavia
hier geschnüffelt!«
Florian zischte etwas Unverständliches in den Hörer. Ihr wurde klar,
dass er mitten in der Probe steckte.
»Ich hatte dich doch gebeten, nicht während der Proben anzurufen.
Das Klingeln stört den Unterricht.«
»Schon mal was von Stummschaltung gehört?«, fragte Antonia
ungehalten. »Also, warst du an meinem Koffer oder nicht?«
»Verflucht, nein, was soll ich an deinem Koffer? Und jetzt
entschuldige mich bitte!«
Also doch Flavia? Um Flavia in Sicherheit zu wiegen, entschloss sie
sich, Octavia vorerst nichts von dem Vorfall zu erzählen. Stattdessen tauschte
sie Jeans und T-Shirt gegen einen dunklen Rock und eine helle Bluse, um Guido
gegenüber seriös zu wirken. In der Küche hinterließ sie für Florian eine Notiz,
dass sie zum Mittagessen verabredet sei. Dann eilte sie zu ihrem Treffen, von
dem sie sich wichtige Informationen über den Conte und die Familie Falieri
erhoffte.
Auf dem Campo Santa Margherita herrschte Hochbetrieb. Alle
Restaurants waren dicht besetzt. Vor dem Café an der Ecke, das Guido
vorgeschlagen hatte, saßen ganze Trauben von Studenten, vor sich einen Aperitif
oder einen Cappuccino. Es dauerte etwas, bis Antonia Janas Onkel inmitten all
der jungen
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