Canale Mortale (German Edition)
Sonntag schaut übrigens Rita vorbei.«
»Waaas?« Florian warf empört die Partitur auf den kleinen
Couchtisch.
»Ach, Florian, bleib bitte locker. Wir können doch alle zusammen
einen Ausflug machen. Du musst auch mal was anderes sehen als dein
Konservatorium.«
Florians Protest ebbte ab, als Antonia ihm Kosenamen ins Ohr
flüsterte und ihn mit kleinen Zärtlichkeiten überhäufte.
»Du hast recht. Ich mache dann am Sonntag eine Pause. Und wir haben
ja das Schlafzimmer für uns, hoffe ich. Bist du nicht auch plötzlich furchtbar
müde …?«
7
Die Vorräte gingen zur Neige, und Antonia wollte für Ritas
Besuch ein paar Dinge besorgen. Sie nahm einen überfüllten Vaporetto der Linie 1
und fuhr zum Gemüse- und Fischmarkt an der Rialto-Brücke. In Venedig war man
immer schon früh auf den Beinen, Lieferanten schoben geschäftig Waren durch die
Gassen, und überall standen Menschen plaudernd zusammen oder gingen ihren
Besorgungen nach.
Der Anblick der Marktstände im gleißenden Licht der venezianischen
Morgensonne ließ Antonia ihre Einkäufe vergessen. Zwischen gelben
Zucchiniblüten, Tomaten und duftenden Büscheln von Minze und Oregano zückte sie
immer wieder ihre Kamera. In der Säulenhalle des Fischmarktes präsentierten die
Stände ihre weißsilbernen, rosafarbenen und schwarzen Schätze auf Bergen von
zerstoßenem Eis. Es dauerte eine Weile, bis Antonia sich auf den Zweck ihres
Besuchs besann und zwei Schalen mit Walderdbeeren, zwölf Artischockenböden,
Tomaten und Basilikum kaufte. Zuletzt ging sie in den Supermarkt an den Zattere
und kam schwer bepackt gegen Mittag zum Palazzo zurück. Als sie die
Plastiktüten abstellte, um nach ihrem Schlüssel zu suchen, trat Jana in
Jogginganzug und mit Baseballkappe aus der Tür.
»Ich wollte eben an den Zattere laufen«, sagte sie fröhlich. »Damit
ich nicht gleich wieder an die Bücher muss! Im Moment hänge ich in meiner
Doktorarbeit ziemlich fest«, setzte sie verlegen hinzu.
Antonia sah sich um, ob jemand in der Nähe war oder das Fenster zur
Küche geöffnet war. Sie wollte nicht, dass Giovanna und Flavia irgendetwas über
ihre Nachforschungen erfuhren. Dann raunte sie Jana zu:
»Könntest du mich am Montag in die Redaktion des ›Gazzettino‹
begleiten? Ich muss unbedingt etwas herausbekommen. Womöglich habe ich einen
Zusammenhang mit den Drohbriefen entdeckt …«
»Natürlich! Ich komme mit.«
»Und dann muss ich dringend noch mal in die USA telefonieren. Deine Mutter weiß Bescheid. Es geht um den Besuch eines
Amerikaners bei deinem Großvater. Vielleicht hat er etwas mit den Briefen zu
tun.«
»Dann geh in mein Zimmer, ich habe einen eigenen Telefonanschluss.
Das Telefon muss auf dem Schreibtisch liegen. Bei Mama ist es im Moment
schlecht, sie hat Besuch bekommen. Tante Alba aus der Schweiz.«
Antonia schleppte ihre Einkäufe über drei steile Treppen nach oben.
Als sie nach Luft ringend die Tür zum Apartment öffnete, kam ihr Flavia mit
Eimer und Putzzeug entgegen. Sie grüßte nur knapp, drückte sich an ihr vorbei
und ging eilig die Treppe hinunter. Im Apartment fand Antonia eine blitzblanke
Küche und ein frisch bezogenes Bett vor. Sie freute sich über diesen Service.
Gerade jetzt, wenn Rita zu Besuch kam, war es angenehm, dass das Apartment
aufgeräumt und sauber war.
Sie verstaute die Lebensmittel im Kühlschrank und ging hinunter in
den Piano Nobile. Die Tür zum Flur war nur angelehnt. Aus dem Salon hörte sie
Octavias hellere Stimme im Wechsel mit einer tiefen, rauen. Octavia schien
angeregt mit ihrer Tante zu plaudern. Antonia ging in Janas Zimmer und schloss
die Tür hinter sich. Auf dem kleinen Schreibtisch am Fenster lag Janas
ungeöffneter Laptop inmitten eines Durcheinanders von aufgeschlagenen Büchern,
Aufsatzkopien und Notizblättern. Es dauerte etwas, bis sie unter dem Wust aus
Papier und Büchern das Telefon fand. Sie zog den Zettel mit Singers
Telefonnummer hervor und wählte noch einmal die Nummer in Baltimore. Sie
schaute auf ihre Uhr. Dort musste es jetzt noch recht früh sein.
Als sich am anderen Ende wieder die Frauenstimme meldete, nannte sie
ihren Namen und fragte nach Aram Singer. Es sei dringend. Sie rufe aus Venedig
an, es gehe um seine Besuche im Palazzo Falieri. Mrs Singer stutzte ein wenig.
Dann erklärte sie, dass ihr Mann geschäftlich unterwegs sei, sie könne ihr nur
seine E-Mail-Adresse geben. Antonia frohlockte. Das machte alles leichter. Sie
notierte sich die Adresse und dankte Mrs
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