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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Schumacher
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genauer. Offenbar hatten
sie dasselbe Loch wieder geöffnet, das sie in der letzten Woche geschlossen
hatten.
    »Wo ist das Regenwasser?«, fragte sie, und Andrea wies auf einen
feuchten Fleck am Boden. Antonia tat so, als ob sie verstanden hätte und der
Erklärung Glauben schenkte. Sie machte eine Bemerkung über das warme Wetter –
»Fa caldo, vero?« –, wünschte einen schönen Tag und verließ den Dachboden.
Neben der Tür zum Flur stand ein leerer Putzeimer. Antonia ließ eine Hand
hineingleiten. Sie konnte fühlen, dass die Wände des blauen Plastikeimers noch
feucht waren.
    Als sie zum Apartment hinüberging, kam ihr Flavia entgegen. Sie war
blass, grüßte kaum und rauschte an ihr vorbei. Antonia hörte noch, wie sie die
beiden Männer mit scharfer Stimme etwas fragte.
    Drinnen setzte sie sich wieder an den Küchentisch und öffnete ihren
Laptop. In ihrer Mailbox fand sie eine E-Mail von Aram Singers Frau. Gespannt
öffnete sie den Anhang mit dem eingescannten Foto. Es zeigte einen
venezianischen Salon mit der typischen Balkendecke, schweren Möbeln und
Deckenleuchtern. An einer Wand hing ein Gobelin, über einem großen Sofa ein Gemälde
in geschnitztem Rahmen, auf dem eine Madonna mit Kind zu sehen war. Antonias
Herz klopfte schneller. Zumindest weiß ich jetzt, wie das Bild aussieht, dachte
sie und bedauerte im gleichen Moment, dass sie den Conte nicht mehr mit dem
Foto konfrontieren konnte.
    Sie machte sich eine Kopie auf ihren USB -Stick
und ließ das Foto im Copyshop an der Universität so vergrößern, dass man das
Gemälde besser erkennen konnte. Mit der Kopie kehrte sie rasch zum Palazzo
zurück, um Octavia und Jana das Bild zu zeigen. Sie traf die beiden im Salon,
wo sie darüber beratschlagten, ob die Familie den Sommer bei Tante Alba in der
Schweiz verbringen sollte. Antonia zog die Fotokopie aus der Tasche.
    »Das ist das Gemälde, das Aram Singer sucht. Haben Sie es hier schon
einmal gesehen, Octavia? Oder kennst du es, Jana?«
    Aber weder Mutter noch Tochter hatten ein solches Bild je im Haus
hängen sehen. Antonia ging unruhig auf und ab und fragte sie noch einmal, ob
sie sich ganz sicher wären. Octavia sah sich das Foto ein zweites Mal an und
schüttelte den Kopf.
    »Mein Vater hat fast nie etwas veräußert. Wenn dieses Bild hier
wäre, dann wüsste ich es. Er hat zweimal Bilder verschenkt, einmal zur Hochzeit
meiner Kusine, ein anderes Mal einem alten Freund zum achtzigsten Geburtstag.
Aber immer hat er uns vorher darüber informiert und das Bild gezeigt, und wir
mussten uns dann davon verabschieden. In dieser Hinsicht war mein Vater sehr
konservativ. Er sah in uns auch so etwas wie die Hüter seiner Sammlung.«
    Auch Jana sah sich die Kopie noch einmal an.
    »Das soll ein Tizian sein?«, fragte sie skeptisch.
    »Für was hältst du es denn?«
    »Tizian hat Madonnen immer mit einem Ausdruck der Entrücktheit
gemalt. Sie schauen seitwärts. Diese hier sieht den Betrachter direkt an, wie
eine Venus. Für eine Madonna wäre das sehr ungewöhnlich.«
    »Und Tante Alba? Vielleicht hat sie dieses Gemälde schon einmal
gesehen?«
    Alba hielt im Garten auf einer breiten Korbliege ihren
Mittagsschlaf. Jana und Antonia rüttelten die alte Dame, die laut schnarchte,
sanft an der Schulter. Sie schreckte hoch. Jana entschuldigte sich.
    »Tut mir leid, dass wir dich wecken mussten. Aber wir haben eine
wichtige Frage.«
    Alba kniff die Augen zusammen und behauptete, sie fände schon seit
Tagen keinen Schlaf mehr, sie habe nur gedöst. Dann besah sie sich das Foto und
schüttelte den Kopf.
    »Ich war in den vierziger Jahren im Internat, und mein Bruder Mauro
studierte in Bologna. Wenn mein Vater damals ein solches Bild in Obhut genommen
hat, dann hat er es uns jedenfalls nicht gezeigt.«
    Keine der Frauen aus der Familie zeigte weiteres Interesse an einem
Bild, das für sie irgendwann in den vierziger Jahren während des Krieges
verschwunden war. Sie waren alle noch zu sehr mit dem Tod des Conte
beschäftigt. Antonia war die Einzige, die einen Zusammenhang zwischen den
Drohbriefen, diesem Bild und dem Anschlag auf den Restaurator sah. Sie steckte
die Kopie in ihre Tasche zurück.
    »Ich gehe jetzt zu Nardo hinüber und frage ihn, ob er dieses Bild schon einmal gesehen hat. Kommst du bitte
mit?«, sagte sie zu Jana.
    Die Haushälterin Don Oriones empfing sie freundlich und führte sie
in den verwunschenen Garten hinter dem Pfarramt. Antonia war hingerissen von
der grünen Oase inmitten der hohen

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