Canale Mortale (German Edition)
Giovanna aufschluchzte.
An der Fondamenta Nuove bestiegen sie das Schiff nach Burano. Bis
Murano war es halbleer, dann jedoch füllte es sich schlagartig mit Touristen,
die eine Tagestour zu beiden Inseln machten. Antonia, die große
Menschenansammlungen nicht mochte, floh auf das Oberdeck und genoss die Sonne.
Die Fahrt über die Lagune führte an vielen kleinen Inseln vorbei, auf denen
keiner zu wohnen schien, und Antonia malte sich aus, wie es wäre, hier ein Haus
zu haben. Als sie bei Burano anlegten, betrachtete sie entzückt die für die
Insel typischen roten, gelben und hellblauen Häuser, die in der Sonne
leuchteten.
Giovanna führte sie an zahlreichen Souvenirshops mit Spitzendeckchen
aus Asien vorbei zu einem Haus in venezianischem Rot. Rechts davon standen ein
paar schattenspendende Pinien und darunter Bänke, von denen aus man aufs Meer
schauen konnte. Im Vorgarten des Hauses wuchsen Malven, Stockrosen und
Kamelien.
Es gab eine herzliche Begrüßung zwischen Giovanna und Nardos
Schwester Anna, einer drahtigen alten Frau mit sonnengegerbter Haut und einem
resoluten Ausdruck in den hellen Augen. Die Freude wurde noch größer, als
Giovannetta, wie Anna sie nannte, das Päckchen mit den Törtchen überreichte.
Der alte Nardo, wegen dem man gekommen war, ließ sich nicht sehen.
»Er hat sich versteckt, der verrückte Kerl«, erklärte Anna. »Du
weißt doch, Giovannetta, er hat Angst vor Fremden. Jetzt, nachdem man ihn
verprügelt hat, noch mehr.«
»Kannte Ihr Bruder diese beiden Männer?«, fragte Antonia, als alle
mit Espressotassen vor dem Haus saßen. »Was wollten sie von ihm?«
»Sie waren aus Venedig. Und sie wollten etwas über die Bilder des
Conte wissen. Aber mehr hat er der Polizei auch nicht sagen können. Nardo hätte
die Sache am liebsten ganz verheimlicht, aber ich habe die Polizei gerufen.
Dieses Gesindel muss doch bestraft werden!«
Giovanna tätschelte zustimmend Annas Hand und lobte sie. Antonia bat
die alte Frau, sie zu Nardo zu führen.
»Sie wissen, dass der Conte gestorben ist. Jemand interessiert sich
für ein bestimmtes Bild aus seiner Sammlung, und wir wissen weder, um welches
es sich handelt, noch wo es versteckt ist. Aber der Conte hat Jana gesagt, Ihr
Bruder wisse alles über seine Sammlung.«
Anna leerte ihren Espresso und streckte ihr Kinn kämpferisch vor.
»Mein Bruder Nardo leidet noch sehr unter dem, was ihm passiert ist.
Wenn es ihm wieder besser geht, kann er Janas Familie helfen, das Bild zu
finden und zu verkaufen.«
Antonia räusperte sich. »Anna, es geht hier nicht um den Verkauf
eines Bildes. Die Männer, die Ihren Bruder geschlagen haben, sind vielleicht
dieselben Verbrecher, die ein bestimmtes Gemälde aus der Sammlung des Conte
rauben wollen. Wenn dem so ist, dann ist Ihr Bruder in großer Gefahr. Wenn
diese Kerle der Meinung sind, dass er der Einzige ist, der sie zu dem Bild
führen kann, werden sie wiederkommen und ihn vielleicht entführen.«
Nardos Schwester riss vor Schreck die Augen auf. »Madonna, dann muss
Nardo hier weg.«
Jetzt schaltete sich auch Jana in das Gespräch ein. »Nardo kommt am
besten mit uns. Ich denke, in der Stadt ist er sicherer, und er kann uns
vielleicht bei der Suche nach dem Bild behilflich sein.«
Giovanna, die sich bei Antonias Ausführungen zweimal bekreuzigt
hatte, fiel jetzt mit einem Schwall Venezianisch über Anna her, sodass diese
seufzend aufstand und ins Haus ging.
»Sie wird Zio Nardo überreden, mit uns zu kommen.«
Wenige Minuten später kam Anna in Begleitung ihres Bruders zurück.
Der alte Mann wirkte tatsächlich sehr angeschlagen. Sein linkes Auge war noch
immer stark geschwollen und die Haut violett und blau angelaufen. Der Verband
um seinen Kopf saß ein wenig schief, und man sah, dass er über den Augen eine
Prellung und an der Stirn eine tiefe Wunde hatte. An seinen Händen hatte er
Schürfwunden, und zwei Finger seiner Rechten waren angeschwollen. Er grüßte in
die Runde und brummte seiner Schwester zu, sie solle ihm einen Kaffee bringen.
Dann erzählte er noch einmal die Geschichte, die er vor ein paar Tagen erlebt
hatte.
Ein Mann sei am Kai an ihn herangetreten und habe mit ihm über das
Wetter, den Fischbestand in der Lagune und die vielen Touristen gesprochen und
ihn nach einer Weile zu einem Wein eingeladen. Später habe er ihn in die
Trattoria an der Kirche zu einem Tisch geführt, an dem ein fein gekleideter
jüngerer Herr gesessen habe. Dann habe man ihm dort viel Wein spendiert und
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