Canale Mortale (German Edition)
zurück noch davor, jemanden halb tot zu
prügeln.«
»Und? Was hast du ihr geraten?«
»Ich konnte nicht viel sagen. Ich habe ihr vorgeschlagen, mit Jana
und Ugo eine Zeit lang zu Alba in die Schweiz zu gehen. Vielleicht geben diese
Typen auf, wenn niemand mehr in diesem Palazzo hockt.«
Florian gähnte laut und anhaltend.
»Gott, bin ich müde. Diese ewigen Proben … Aber die Idee mit der
Polizei fand ich gut. Die Sache wächst dir doch eindeutig über den Kopf.«
»Danke, Florian. Das kann ich jetzt gut gebrauchen.«
Antonia stand verärgert auf und ging in Richtung Tür. Kurz vorher
drehte sie sich noch einmal um.
»Und außerdem finde ich, muss dein Beistand nicht so weit gehen,
dass du sie streichelst. Ich habe euch gesehen!«
»Du meine Güte, Antonia, mir geht es doch nur darum, dass du heil
aus dieser Sache herauskommst. Ich spiele am Sonntag mein Abschlusskonzert,
dann haben wir noch ein paar Tage Urlaub, und dann brechen wir unsere Zelte
hier ab.«
»Ja, und weißt du, wie ich mich fühle? Wie eine Versagerin, wenn ich
den Fall aufgebe. Was würdest du sagen, wenn jemand käme und statt dir am
Sonntag die Orgel übernehmen wollte?«
Damit verließ sie wütend das Zimmer und ging ins Bett. Florian
folgte ihr, legte sich neben sie und murmelte noch: »Nicht böse sein!« Kurze
Zeit später war sie eingeschlafen.
Antonia lag noch lange wach. Sie ärgerte sich, dass sie so viel Zeit
und Energie in den Fall investiert hatte und ihre Bemühungen bisher zu nichts
geführt hatten. Irgendwann fiel sie in einen unruhigen Schlaf, nur um nach
kurzer Zeit wieder zu erwachen. Draußen hatte ein heftiges Gewitter eingesetzt.
Vor dem offenen Fenster rauschte der Regen, und sie stand auf, um es zu
schließen. Als sie sich wieder hinlegen wollte, fiel ihr die Öffnung im Dach
ein. Wenn es dort jetzt hereinregnete? Sie zögerte. Das warme Bett noch einmal
zu verlassen schien ihr wenig verlockend. Dann griff sie pflichtbewusst nach
ihrer Taschenlampe und tastete sich leise, um Florian nicht zu wecken, zur Tür
des Apartments.
Das Flurlicht erhellte den langen Gang bloß bis zur Mitte, aber sie
konnte sehen, dass die Tür zum Dachboden nur angelehnt war. Sie ging barfuß den
Gang hinunter und drückte die Tür auf. Sie wusste nicht, wo sich innen ein
Lichtschalter befand, und so durchquerte sie den Boden, indem sie dem
Lichtkegel der Lampe folgte. Sie erschrak, als etwas zwischen leeren
Weidenkörben und Kartons davonhuschte. Als sie in die Ecke leuchtete, sprang
eine Maus von einem Korb, eine zweite folgte, blieb sitzen und schaute sie mit
glänzend schwarzen Stecknadelkopfaugen an. Antonia tastete sich weiter vor und
kam zu der Öffnung im Dach. Andrea und sein Kollege hatten das Loch abgedeckt,
die Plane hatte sich jedoch an einer Seite gelöst und bauschte sich im Wind. Regenwasser
drang herein und bildete eine große Lache. Das kalte Wasser machte sich
unangenehm an ihren nackten Fußsohlen bemerkbar. Sie trat vorsichtig an die
Öffnung heran und zuckte zurück, als es heftig blitzte. Dann steckte sie den
Kopf nach draußen und leuchtete mit der Taschenlampe das Dach ab, konnte aber
wegen des starken Regens kaum etwas sehen. Schemenhaft erkannte sie, dass an
der Wand zum Haus nebenan eine Leiter lehnte, die zur Altana der Nachbarn
führte. Ob die Arbeiter von da aus aufs Dach gestiegen waren? Sie musste
unbedingt Octavia fragen.
Antonia fröstelte und befestigte die Plane, so gut es ging. Auf
Zehenspitzen umging sie die Pfütze und trippelte über den staubigen
Speicherboden zurück zum Flur. Der blaue Putzeimer, den sie gestern gesehen
hatte, war verschwunden. Sie war froh, als sie wieder neben Florian lag, der
leise schnarchte.
17
Beim Frühstück ging Florian nicht auf den Streit vom
Vorabend ein. Stattdessen legte er Antonia einen Zeitungsausschnitt hin, den
ihm Davide, ein Kollege aus der Meisterklasse, mitgebracht hatte.
»Lies mal. Ist das nicht komisch?«
Die Zeitung brachte einen Leserbrief zu dem Bericht über die
Leichenschändung, bei der man den Namen des Verstorbenen nicht genannt hatte.
Der Inhaber eines Haushaltswarengeschäfts in Mestre hatte sich gemeldet und
erklärt, dass er schon immer mit viel Erfolg Messer von der Art, die man im
Herzen des Verstorbenen gefunden habe, verkaufe. Es sei unverständlich, wie das
Messer im Körper des Leichnams stecken bleiben konnte. Noch nie habe es eine
Reklamation gegeben. Die Metzger von Mestre arbeiteten seit Jahren damit und
seien mit der
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