Canale Mortale (German Edition)
ein Ende.«
Antonia musste zugeben, dass dies eine mögliche Lösung für Octavias
Probleme war. Aber die Erpresser, die schon gezeigt hatten, wie rabiat sie beim
Verfolgen ihrer Ziele sein konnten, würden jetzt vielleicht nicht mehr so lange
warten.
Zurück im Apartment entdeckte sie auf ihrer Handy-Mailbox einen
Anruf aus Köln.
»Schätzchen, hier ist Rita. Ich wollte nur mal hören, wie es euch so
geht. Und was macht dein Fall?«
Antonia rief zurück und erreichte die Kollegin im Büro.
»Der Fall ist für mich nicht zu lösen. Ich kann Singer nicht zu
seinem Bild verhelfen, der Conte ist tot, und es ist trotzdem ein neuer
Drohbrief an die Falieris gekommen. Ich denke, ich gebe auf.«
Rita sah das anders. »Wenn Schwierigkeiten auftauchen, wird es doch
erst richtig interessant. Ich kenn dich doch, du hast den langen Atem!«
Antonia freute sich über das Kompliment, blieb aber, was ihre Erfolgschancen
anging, weiterhin skeptisch.
Gegen halb zwei rief Florian vom Bahnhof aus an. Er habe am
verabredeten Bahnsteig auf Ugo gewartet, aber der Junge sei bisher nicht
aufgetaucht. Der Dreizehn-Uhr-zwanzig-Zug nach Triest sei jetzt ohne sie
abgefahren, damit hätten sie das Rückspiel schon verpasst. Antonia versprach,
im Haus nachzusehen.
»Vielleicht hat Ugo die Verabredung vergessen.«
Sie bat Florian, am Bahnhof zu warten. »Womöglich ist er aufgehalten
worden und taucht noch auf.«
Tante Alba und Octavia saßen noch bei Tisch. Die beiden sahen
erstaunt von ihrem Dessert hoch, als Antonia an der Tür des Speisezimmers
klopfte und nach Ugo fragte.
»Ugo ist heute mit Florian nach Triest gefahren. Er wollte gleich
nach der Schule zum Bahnhof, um sich mit ihm zu treffen«, sagte Octavia.
Als Antonia den Kopf schüttelte, ließ Octavia klirrend den Löffel
auf den Dessertteller fallen und sprang auf.
»Was ist mit Ugo? Ist etwas passiert?«
»Er ist noch nicht am Bahnhof aufgetaucht, aber vielleicht kommt er
ja noch.«
Sie wählte Florians Nummer und hielt Octavia ihr Handy hin. Florian
wartete immer noch am Bahnsteig auf den Jungen.
Um fünf Uhr, nachdem man in Ugos Schule und bei allen seinen
Freunden vergeblich angerufen hatte, war Octavia außer sich und schaltete die Polizei
ein. Ein Commissario und zwei Carabinieri saßen am Abend mit der Familie und
den beiden deutschen Gästen im Salon und gingen den Tagesablauf von Ugo durch.
Um acht Uhr dreißig war er in die Schule gegangen. Nach der vierten Stunde
hatte er sich aus der Schule zur Zattere-Promenade begeben, um dort jemanden zu
treffen. Wen, hatte er seinen Freunden nicht gesagt. Ein Mitschüler hatte
gesehen, wie er kurz vorher einen Anruf auf seinem Handy bekommen hatte. Dann
verlor sich seine Spur.
Antonia rief noch am Abend in Köln an, um Rita die neueste
Entwicklung mitzuteilen. Rita war sehr betroffen, denn auch sie hatte Ugo
während ihres kurzen Aufenthalts ins Herz geschlossen.
»Das wird ja immer schöner! Was ist denn das für eine Sorte Mensch?
Du musst der Polizei alles sagen, was du weißt, hörst du? Auch die Geschichte
mit dem Singer. Die sollen unbedingt bei den Fluggesellschaften prüfen lassen,
ob er wieder nach Italien eingereist ist. Vielleicht trifft der sich ja mit
diesem Guido in Rom? Vielleicht haben sie den Jungen dorthin gebracht? So ein
Mist, dass ich nicht da bin. Antonia, die Sache wird jetzt wirklich heiß. Pass
auf dich auf!«
18
Antonia war schon am Vormittag zur Questura gegangen und
hatte dem Commissario alles erzählt, was sie wusste, angefangen bei den
Drohbriefen über Aram Singer bis zu dem Mann, den Ugo Marcello nannte und der
ihn im Stadion angesprochen hatte.
Eine Frau hatte sich inzwischen telefonisch bei der Polizei gemeldet
und ausgesagt, sie habe den in den regionalen Abendnachrichten gezeigten Jungen
am Bahnsteig gesehen. Er sei mit einem Mann am Vortag gegen zwölf Uhr dreißig
in einen Zug nach Mestre gestiegen und davongefahren. Der Mann sei klein und
untersetzt gewesen und habe eine rötlichbraune Lederjacke getragen. Antonia
erinnerte sich, dass der Mann, den sie mit Ugo im Fußballstadion und mit Guido
im Café gesehen hatte, eine rotbraune Lederjacke bei sich gehabt hatte, und
zeigte den Polizeibeamten das Foto auf ihrem Handy. Man glich es mit einigen
Datenbanken ab, konnte den Mann jedoch nicht identifizieren. Offenbar war er
nicht vorbestraft. Der Commissario verabschiedete sie höflich.
»Wir werden ein internes Fahndungsfoto herausgeben. An die Presse
können wir jetzt noch nicht
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