Canale Mortale (German Edition)
Originals etwas sagen.«
Antonia brannte darauf, die entscheidende Frage zu stellen. Aber
auch Professor Marconi hatte dieses Bild noch nie in der Sammlung des Conte
gesehen.
»Im Palazzo kann das Gemälde nicht gewesen sein. Ich kenne so
ziemlich alles, was dort hängt. Zu den meisten Bildern habe ich Gutachten
erstellt. Der Conte wollte das, damit seine Tochter und die Enkel einen
Überblick über den Wert der Sammlung bekommen.«
Antonia hätte gerne etwas über diesen Wert gewusst, traute sich aber
nicht, danach zu fragen. Der Kunsthistoriker sah sich das Foto noch einmal an.
Dann murmelte er mehr für sich: »Die Abgebildete ist betörend. Selbst wenn das
Bild nicht von Tizian ist, dann ist es doch ein sehr exquisites Gemälde, und
ich glaube, dass es auch so einen hohen Preis auf dem Kunstmarkt erzielen
könnte.«
Nach diesem weiteren erfolglosen Versuch, mehr über das
verschollene Gemälde zu erfahren, hatte Antonia erneut schlechte Laune. Um sie
aufzuheitern, wollte Jana sie zum Essen einladen. Antonia sagte widerstrebend
zu, und sie wählten eine Terrasse an den Zattere, wo ein leichter Wind ein
wenig Kühle brachte. Zwischen den hohen Palazzi war die Luft in den Gassen
heute unerträglich stickig gewesen. Befreit ließen sich die beiden unter einem
großen Sonnenschirm nieder.
Bevor die Pasta serviert wurde, warf Jana Antonia einen seltsamen
Blick zu. Langsam zerpflückte sie ein Stück Brot, ohne es zu essen.
»Du hast heute Guido getroffen, stimmt’s? Er hat es mir gesagt. Wir
haben telefoniert, weil er wieder ein paar Tage nach Rom muss.«
Antonia nickte. »Es war Zufall. Er saß vor der Gelateria, bei der
ich mir ein Eis geholt hatte, und lud mich an seinen Tisch ein.«
Da Jana schwieg, fügte sie hinzu: »Was verbindet dich eigentlich mit
Guido? Er ist doch viel älter als du, fast im Alter deiner Mutter.«
Janas Blick verlor sich über dem Wasser des Kanals, glitt an den
Fassaden der gegenüberliegenden Giudecca entlang und kehrte dann zu Antonia
zurück. Es war kein glücklicher Blick.
»Ich war vierzehn, und wir waren in den Osterferien bei meinem
Großvater in Venedig, da ist Guido mir nachgestiegen auf die Altana und hat
mich dort oben geküsst. Es war mein erster Kuss, und er war … sehr zärtlich.
Ich habe immer an ihn denken müssen, als ich wieder zu Hause war, und dann habe
ich ihm geschrieben. Im Herbst darauf sind Tante Cecilia, Großpapa und Guido zu
uns nach Hamburg gekommen, und Guido hat mich in unserer Küche geküsst.
Großpapa hat uns wohl dabei beobachtet. Jedenfalls gab es abends einen
Riesenstreit zwischen ihm und Guido, und Tante Cecilia und Guido sind am
nächsten Morgen abgereist.«
»Und seitdem hängst du an Guido?«
Jana wirkte jetzt sehr bedrückt.
»Ich habe während des Studiums auch andere Freunde gehabt, aber nie
etwas Ernstes.«
»Und wie ging es dann mit euch weiter?«, fragte Antonia mit
Widerwillen. Diese halbinzestuöse Geschichte fing an, ihr die Vorfreude auf das
Essen zu verderben.
»Zwei Jahre später fuhren wir mit den beiden in den Weihnachtsferien
nach Cortina zum Skifahren. An einem Abend ist Guido dann in mein Zimmer
gekommen. Ugo schlief bei meinen Eltern, und ich hatte ein Zimmer für mich. Da
ist es dann passiert. Er hat mit mir geschlafen. Aber es war nur das eine Mal.
Ich habe es nie wieder zugelassen, wegen Tante Cecilia. Sie hat mir so
leidgetan. Sie hatte Fehlgeburten und hat getrunken. Außerdem hat sie Mama
erzählt, dass Guido sie schlug, wenn sie betrunken war. Aber Guido bestreitet
das.«
Der Kellner stellte die Teller mit der dampfenden Pasta vor sie hin.
Antonia, die den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, stocherte in den
Tagliatelle mit Steinpilzsauce, konnte sich jedoch nicht so recht zum Essen
entschließen. Jana erzählte mit tonloser Stimme weiter.
»Vier Jahre später ist Tante Cecilia dann gestorben, an einer
Mischung aus Alkohol und Tabletten. Großvater hat es Guido nie verziehen. Noch
auf der Beerdigung hat er Guido verboten, jemals wieder einen Fuß in sein Haus
zu setzen.«
Eine Pause entstand. Als Jana schließlich weitersprach, war ihre
Stimme noch leiser.
»Und dann hat er mich neulich gebeten, seine Frau zu werden.«
Antonia legte ihre Gabel abrupt nieder. »Was? Jana, das glaubst du
doch selber nicht!«, sagte sie aufgebracht. »Er ist ein Spieler und braucht
Geld. Er will an dein Erbe, das ist alles!«
Jana blickte traurig aufs Wasser. »Ich glaube daran, dass er mich
liebt. Er ist sehr krank.
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