Canale Mortale (German Edition)
Qualität bisher immer sehr zufrieden gewesen. Antonia brach in
ein Kichern aus und entspannte sich. Florian verabschiedete sich diesmal
besonders zärtlich von ihr.
»Heute Vormittag muss ich noch mal wie wild üben. Mittags treffe ich
Ugo am Bahnhof und fahre mit ihm wie versprochen zum Fußballrückspiel nach
Triest. Wir sind gegen halb elf Uhr abends wieder zurück. Morgen, nach dem
Konzert, gehöre ich dann ganz dir …«
Antonia ging mit ihm hinunter und begleitete ihn ein Stück durch die
regenfrische Stadt. Als sie am »Già Schiavi« vorbeikam, fiel ihr ein Traum ein,
den sie nach ihrem Ausflug auf den Dachboden gehabt hatte. Sie lag in einem
riesigen Himmelbett, wie das der heiligen Ursula auf dem Bild von Carpaccio.
Neben ihr war ein Abdruck im Bett, aber niemand lag da. Ein Mann mit Flügeln
trat an den Fuß des Bettes und hielt etwas in der Hand. Sie konnte nicht
erkennen, was es war. Der Mann sah aus wie Luca aus der Weinbar, und er sprach
mit ihr, aber sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Als sie sich
aufrichtete, um ihn besser verstehen zu können, verschwand er. Es fing an, im
Zimmer zu regnen, und Antonia versuchte verzweifelt, ein Loch im Baldachin
abzudichten.
Für Traumdeutung blieb keine Zeit, denn sie musste zum Palazzo
zurück und sich den neuesten Drohbrief ansehen, den Octavia bekommen hatte.
Ihre Gastgeberin saß im Salon und hatte ihn vor sich liegen. Sie war blass,
wirkte jedoch gefasst. Der Brief war nicht weiter aufschlussreich, bis auf die
Tatsache, dass er diesmal wieder nur mit »7 M «
unterzeichnet war. Die Buchstaben des Wortes » DIEBE «
waren übergroß mit Kugelschreiber auf ein kleines Stück Pappe geschrieben. Der
Brief war mit der Post gekommen, sein Umschlag in Mestre abgestempelt.
»Haben Sie sich Florians Vorschlag überlegt? Ich fände es auch gut,
wenn Sie für eine Weile in die Schweiz gingen.«
Octavia schüttelte unwillig den Kopf. »Nein, das ist keine Lösung.
Offenbar sind ja jetzt wir die Zielscheibe dieses
Gesindels. Mein Vater ist tot, und jetzt will man mich einschüchtern. Wenn wir
zurückkommen, geht es womöglich weiter. Nein, ich bleibe so lange, bis man
diese Leute gefunden hat, die mir das antun.«
Antonia nickte. »Ich vermute, die Sette Martiri werden vom Verfasser
der Drohbriefe nur vorgeschoben. Der historische Vorfall hat nichts mit dem zu
tun, was diese Leute wollen. Ihr Schwager Guido wollte mir gestern allerdings
das Gegenteil weismachen. Er hat angedeutet, dass Ihr Großvater in das Geschehen
um die Erschießungen involviert war. Guido sprach von seiner Großmutter, die
ihm das immer wieder erzählt habe. Ihr Bruder sei einer der Partisanen
gewesen.«
Octavia sah erstaunt hoch. »Das wäre mir neu. Guido hat keine
Verwandten. Er ist im Waisenhaus aufgewachsen. Eine Frau aus dem Castello hat
ihn adoptiert, als er zwölf Jahre alt war. Mein Vater war auch deswegen gegen
eine Verbindung mit meiner Schwester, weil man nicht wusste, woher er
eigentlich stammte.«
»Sie meinen, er hat mir eine faustdicke Lüge aufgetischt?«
»Dafür ist Guido bekannt. Er lügt wie gedruckt, aber zweifellos sehr
charmant.«
Antonia dachte an die bedauernswerte Jana, sagte aber nichts. Sie
wollte Octavia nicht noch mehr Sorgen bereiten.
»Ich hätte da noch eine Frage. Werden die Arbeiten auf dem Dach vom
Nachbarhaus aus gemacht?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen. Was ist mit dem Dach?«
»Ich wollte nur wissen, ob die Arbeiter durch das Nachbarhaus zum
Speicher gehen. Im Treppenhaus sehe ich sie nie.«
Octavia schüttelte den Kopf. »Warum sollten sie über das Nachbarhaus
kommen? Dort stehen die beiden oberen Etagen leer. Sie werden zum Verkauf
angeboten. Flavias Bruder Andrea und sein Kollege kommen morgens um acht Uhr.
Giovanna lässt sie herein.«
Antonia wollte Octavia nicht weiter beunruhigen und behielt ihre
nächtliche Beobachtung für sich.
»Haben Sie schon die Polizei verständigt?«, fragte sie stattdessen.
Octavia verneinte. »Ich bin wieder unsicher geworden, ob ich das tun
soll. Sie glauben nicht, wie langsam solche Dinge hier bearbeitet werden. Wenn
ich keinen bestimmten Verdacht äußern kann, liegen diese Briefe bei der Polizei
monatelang herum, und es passiert nichts. Das hilft mir auch nicht weiter.
Vielleicht ist es das Beste, wenn ich Professor Marconi bitte, die Sammlung
meines Vaters zum Verkauf anzubieten. Ich hätte dann so viel Geld, dass ich
Venedig ohne Weiteres verlassen könnte. Dann hätte diese Sache hier
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