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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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wenn von den anderen Höfen ein Kind zum Spielen kam, flüsterten ihm sofort alle miteinander leise ins Ohr: »Oben unter dem Dach ist Rossoni, aber das darf man nicht herumerzählen, sonst wird Großvater bös, denn auch Rossoni hat unsere Großmutter gevögelt, als wir noch in Oberitalien waren.« Einer von den Kleinsten ging dann zu Großmutter und fragte sie: »Stimmt es, Oma, dass Rossoni dich auch gevögelt hat?«
    Sie wollte ihn erwürgen, das können Sie mir glauben – meinen kleinen Vetter natürlich, nicht Rossoni –, und sie hatte ihm den Hals schon in einer Schublade der Kredenz eingeklemmt, damit er wie die Hühner für die Cappelletti seine letzten Flügelschläge tun konnte. Nur mit Gewalt konnte man ihn ihr in letzter Minute entreißen, und Großvater sagte erstaunt: »Jesusmaria, aber er ist doch ein Kind!«
    »Ein Kind?«, kreischte sie. »Weißt du, was er zu mir gesagt hat?«
    »Und was soll er denn schon gesagt haben, du liebe Güte?«
    »Dass ich mit Rossoni gevögelt hab.«
    »Gib ihn mir«, brüllte Großvater sofort los, »ich bring ihn um.«
    Tatsache ist jedenfalls, dass Rossoni vier oder fünf Tage auf unserem Heuboden versteckt war, ohne dass jemand das wusste – außer natürlich die gesamte Parallela Sinistra von Borgo Carso bis Borgo Podgora –, bis er und Großvater sich wirklich sicher waren, dass der Duce, einmal gestürzt, nicht wieder aufstehen würde. Erst da kam Rossoni vom Dachboden herunter.
    Großvater hatte jeden Tag den Weg ins Wirtshaus gemacht, hin und zurück, um die Kriegsbulletins zu hören. Fast immer kam er halb betrunken wieder zurück. »Du und dieses Radio«, sagte Großmutter.
    »Er trinkt, um zu vergessen«, sagten meine kleineren Vettern.
    Der König hatte den Duce festnehmen lassen, aber um ein Haar hätte er auch die Verschwörer festnehmen lassen. Gerechterweise hatte er sie auch mit hineingezogen. Der Faschismus war gestürzt und basta. Nie mehr sollte davon die Rede sein. Wie die Menschen in ganz Italien feierten, ich kann Ihnen sagen! Bis zum Jahr vorher alle: »Du-ce Du-ce Du-ce, wir werden siegen.« Und jetzt hatte ihn nie irgendjemand ertragen können. Genau wie die Sozialisten 1919–1921. Aber auch wie der PCI und die Democrazia Cristiana 1994. Von Craxi ganz zu schweigen, und bald – Sie werden sehen – trifft es auch Berlusconi, und in hundert Jahren den, der dann gerade am Ruder ist: »Was, ich? Ja meinst du denn, ich hätte einem solchen Idioten meine Stimme gegeben?«
    Und genauso im Juli 1943 – als es im Radio wieder und wieder hieß: »Seine Majestät, der König und Kaiser, hat das Rücktrittsgesuch des Regierungschefs, Premierministers und Staatssekretärs angeno m men, das Seine Exzellenz Cavaliere Benito Mussolini eingereicht hat, und hat zum neuen Regierungschef, Premierminister und Staatsse k retär Seine Exzellenz Cavaliere Marschall von Italien Pietro Badoglio ernannt« – sind alle raus auf die Straße, um zu feiern. Regelrechte Massendemonstrationen – ozeanische Menschenmengen nannte man das damals – in jedem Winkel Italiens. Alle stiegen mit Hammer und Meißel auf Leitern hinauf und schlugen die faschistischen Wahrzeichen von den Wänden. Sie hätten sehen sollen, wie die Duce-Büsten aus den Fenstern auf die Straßen flogen und die Leute drum herum, die darauf spuckten, ja, vorbeiziehende Soldaten schossen sogar auf Duce-Büsten. Es gab keinen einzigen Faschisten mehr weit und breit. Keine Uniform. Alles verschwunden. Außer im Agro Pontino.
    Wir im Agro Pontino sagten uns nur: »Hm, jetzt schauen wir erst mal, wie das ausgeht«, und jeder tat weiter seine Arbeit. Aber keiner hätte an den Wänden etwas angerührt. Das fehlte ja noch. Ja, wir im Agro Pontino sagten uns sogar: »Aber wie wollen die das denn jetzt machen ohne ihn, ohne einen Mann von seinem Kaliber?«
    »Da ist ja immer noch der König.«
    »Na ja.«
    Oben in den Gebirgsdörfern dagegen wurde groß gefeiert, mehrere Tage lang, aber Sie werden verstehen, die hatten andere Beweggründe als wir.
    Bei uns in Littoria tauchte eine Gruppe von Rekruten und Drückebergern vom 82. Infanterieregiment auf, die das Liktorenbündel von der Frontseite des Rathausturms wegmeißeln wollten. Doch als sie den Torbogen des Ratshauses erreichten, stand Onkel Adelchi da Wache, in weißer Sommeruniform mit Tropenhelm, und sagte zu ihnen: »Weg hier! Was soll der Auflauf?«
    »Der Faschismus ist gefallen«, sagten die vom 82., während eine kleine Gruppe von Littorianern gegen

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