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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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viel war oder die Zeit zu knapp, haben wir auch immer welche eingestellt, wir waren ja nicht blöd. Wenn die Ernte schleunigst eingebracht werden muss, denkt man nicht lang darüber nach, man holt sich Leute von außen und fertig. Aber es ist zweierlei, ob ich selbst entscheide – oder besser gesagt Großmutter –, dass wirklich jemand nötig ist, oder ob da einer daherkommt und mir sagt: »Ab heute musst du Hinz und Kunz auf dem Feld arbeiten lassen.« Und wenn ich die nicht brauche? Ich hole mir die zum Arbeiten – und muss ihnen dafür auch Geld geben, weil die Liga das so bestimmt –, und derweil lasse ich meine Kinder zu Hause sitzen und nichts tun. Und wozu hab ich sie denn gemacht, all diese Kinder? Wohin schicke ich sie zum Arbeiten? Was gebe ich ihnen denn zu essen, wenn ich es den anderen geben muss? Ich sehe ein, dass man teilen muss, aber man muss das teilen, was man hat, nicht das, was man nicht hat. »Wir haben genug nur für uns«, hatte Onkel Temistocle zu denen von der Liga gesagt, nachdem er sich blitzschnell – mit Blicken – mit der Mutter und den Brüdern verständigt hatte.
    Onkel Temistocle hatte damals selbst schon zwei Kinder, auch wenn wir alle zusammenlebten und er nicht älter als zwei- oder dreiundzwanzig war. Als er zum ersten Mal auf Fronturlaub gekommen war – 1917, da war er zwanzig –, hatte er im Haus diese Magd gesehen, die meiner Großmutter zur Hand ging.
    Nicht dass wir reich gewesen wären und uns eine Magd hätten leisten können. Es ging uns gewiss nicht schlecht, Arbeit war reichlich vorhanden, Gesundheit auch, wir hatten jeden Tag zu essen, aber wir waren eben Landpächter, die mit der Kraft ihrer Arme das Gut anderer bearbeiten. Aber es stimmt freilich auch, dass es viele Leute gab, denen es schlechter ging als uns. Sie haben ja keine Vorstellung, welches Elend damals herrschte. Leute, die nicht einmal ein Haus hatten, wo sie schlafen konnten, gar nicht mal Eigentum, nein, bloß zur Miete, weil sie keine Lira hatten. Sie arbeiteten, wie es gerade kam, einen Tag ja und dann wieder nicht, nur in den Kanälen Aale fangen, das war natürlich Raubfang, und wehe es erwischten einen die Feldhüter, denn dort gehörten auch die Kanäle den Grundbesitzern. Es gab nichts, was nicht seinen Eigentümer hatte, und dieser Eigentümer machte Ärger, wenn man einen Aal fing. Sie bezahlten eigens Aufseher, die den lieben langen Tag über ihre Güter – Felder, Kanäle, Reisfelder – streiften, das Gewehr geschultert, Mütze und Uniform mit dem Wappen des Grundbesitzers, hohe Stiefel und Reithosen. Die zeigten einen nicht nur an und damit fertig. Die schossen scharf.
    Und diese Leute, die Aale stahlen, hatten kein Haus und keine Bleibe. Es war voll von solchen Leuten, und nicht nur in der lombardischen Tiefebene, sondern in ganz Venetien, glauben Sie mir. Sie lebten alle zusammen – viele Familien – in großen Hütten, die nur aus Gestrüpp und Schilfrohr gemacht waren und casoni genannt wurden, große Räume ohne Trennwände, mit einer Feuerstelle in der Mitte, und Männer und Frauen lebten da alle miteinander, dazwischen die Tiere, Hunde, Katzen, Schweine, Hühner. Und einige waren noch ärmer und fanden nicht einmal in den casoni Platz, so zogen sie Nacht für Nacht mit der ganzen Familie umher und schliefen im Stall von jemand, der sie aufnahm, in den Raufen, aus denen die Tiere fraßen. All diesen Leuten ging es schlechter als uns, das ist klar, wenn also hin und wieder jemand zu meiner Großmutter sagte: »Nehmt dieses Mädchen doch zu Euch«, nahm Großmutter sie. Sie gab ihr zu essen, sorgte für sie, kleidete sie, und die arbeitete wie alle anderen auch, natürlich ohne Lohn. Und wenn sie dann heranwuchs und sich jemand fand, der sie zur Frau nahm – jemand, der genauso elend dran war wie sie –, ging sie fort, und wenn dann wieder jemand Großmutter bat »Nehmt dieses Mädchen doch zu Euch«, nahm sie eine neue. Mit der Zeit dann – wenn sie geheiratet und Kinder bekommen hatten – kamen sie ab und zu vorbei, besuchten Großmutter, zeigten ihr die Kinder und waren schon verbraucht und ausgemergelt vom Hunger und den Entbehrungen, denn auch den Männern erging es nicht viel besser als ihren Vätern. Wenn sie dann zu Großmutter kamen, sagten sie immer: »Ach, wie gut habe ich es bei Euch gehabt! Wäre ich doch nie weggegangen.« Und zum Abschied gab Großmutter ihnen immer ein paar Eier mit und ein Huhn.
    Kurz und gut, als Onkel Temistocle auf Fronturlaub nach

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