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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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an, während sie am Tisch das Essen auftrug. Die Augen stets niedergeschlagen, ging sie in der ganzen Küche herum und um den Tisch, weil die Frauen, auch die, die zur Familie gehörten, später aßen oder im Stehen, wie Großmutter. Am Tisch saßen nur die Männer, am Kopfende immer Großvater. Ihm reichte Großmutter als erstem den Teller, und ihm gehörte der erste Bissen. Niemand fing an zu essen, solange er das nicht getan hatte. Zu beiden Seiten die älteren Söhne, von Onkel Temistocle, der rechts von ihm saß, über Onkel Pericle zu seiner Linken und so weiter über Iseo, Adelchi und die anderen bis zum unteren Ende, wo die Kleinen saßen, Burschen und Mädchen gemischt; am Boden unter den Tischen krabbelten die Säuglinge auf allen vieren hintereinander her und machten Katzen und Hunden die Bissen streitig. Die Frauen setzten sich erst zum Schluss, wenn die Männer fertig waren, mein Großvater sich schon die Zigarre angezündet hatte und die Brüder, von Onkel Temistocle bis Pericle, sich den Tabak rollten. Und Großmutter lehnte am Arbeitstisch oder am Spülstein, das ganze Treiben in all seinen Bewegungen überblickend und beaufsichtigend.
    Die jedenfalls – die dann meine Tante Clelia werden sollte – hielt den Blick gesenkt, während sie am Tisch auftrug. Nur einen Moment lang schlug sie irgendwann die Augen auf, und Onkel Temistocle gab ihr einen Wink – nur mit den Augen, genau wie die Mutter –, und mit den Augen deutete er auf den Heuschober jenseits der Wand; sie wurde rot und senkte den Blick wieder. Aber sie gab zu erkennen, dass sie verstanden hatte und gehorchen würde, und als alle zu Bett gegangen und die Lichter gelöscht waren, schlüpften sie hinaus und liefen zum Heuschober, ohne auch nur ein Wort zu wechseln, nur: »Eigentlich sollte man das ja nicht«, murmelte sie, »vor der Hochzeit.«
    »Aber wer weiß, ob ich nicht sterbe«, murmelte er, und dann die ganz Nacht lang nichts mehr. Als die Nacht sich zum Ende neigte und vom Meer her erste Helligkeit heraufzog, ging er ins Zimmer der Mutter und weckte sie: »Ich habe eine Entscheidung getroffen, Mutter, ich habe eine Frau genommen.«
    Großmutter fing an zu zetern. Sie wollte nicht. »Bist du verrückt geworden?«, weil sie schlechter gestellt war als wir. »Sie kommt aus den casoni «, rief Großmutter. »Sie weiß ja gar nicht, wer ihr Vater ist. Sie kann nicht einmal lesen und schreiben.«
    »Aber Mama, mein Vater, wo kommt der denn her?«, und unterdessen war der, Großvater, auch aufgewacht.
    Als sein Sohn ihn daran erinnerte, woher er kam, machte Großvater ein Gesicht, als wollte er sagen: »Ja, woher komm ich eigentlich, hm?«, aber ohne ein Wort, nur das Gesicht, denn sonst geriet die ja außer sich. Sie geriet ohnehin schon außer sich, wenn sie sich sein Gesicht hinter ihrem Rücken auch nur vorstellte, und während sie sich zum Sohn wandte, sagte sie: »Aber ich jag sie fort, gleich morgen jag ich sie fort. Auf die Straße werf ich sie. Du sollst sie hier nicht mehr finden.«
    »Dann bring ich Euch um«, stieß Onkel Temistocle leise hervor, und das hörten nur sie beide. Nicht einmal Großvater hörte es. Er sah nur die bösen Augen seines Sohnes und ahnte, dass er etwas Schlimmes gesagt hatte. Aber er hatte nicht verstanden. Er hatte die Worte nicht verstanden. »Was hat er gesagt?«, fragte er.
    »Nichts, nichts«, sagte Großmutter und behielt sie. Er aber brach am nächsten Morgen auf, kehrte zurück in den Krieg, um mit dem Dolch Deutsche abzustechen, nachts, mit blankem Messer, wenn er Wache hatte, denn er war bei den Arditi. Er kehrte dahin zurück, andere abzustechen, um nicht selbst abgestochen zu werden – mors tua vita mea –, und den nächsten Fronturlaub bekam er exakt neun Monate später, da war das Kind gerade auf die Welt gekommen, und sie nannten es Paride, Sie wissen schon, im alten Griechenland, der Schönste aller Männer, die Göttinnen des Olymp waren alle in ihn verliebt, und durch seine Schuld brach der Trojanische Krieg aus und das ganze Chaos, das daraus folgte. Dennoch gaben die Leute in Norditalien ihren Söhnen diesen Namen, »Paride«, in der Überzeugung, dass er Glück bringt. Und so auch mein Onkel und meine Tante. Und schon als kleines Kind war er sehr schön, stark, gerecht, großzügig und kühn. Aber dann sieht man ja, was für ein Glück er uns gebracht hat. Genau wie in Troja.
    Aber das wusste man damals noch nicht, als mein Onkel Temistocle im Frühjahr 1919 zum zweiten Mal auf

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