Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
Hause kam, war da dieses Mädchen im Haus. Und sie gefiel ihm auf Anhieb. Sehen Sie, Onkel Temistocle war noch ein junger Bursche. Groß, kräftig, ganz dunkel wie die Mutter, nicht blond wie der Vater. Sehr hohe, breite Stirn, große, schwarze Augen. Er war ein ruhiger Typ, zurückhaltend, er war kein Mann der vielen Worte, er hörte lieber zu; es lag ihm nichts daran, seine Meinung kundzutun, und wenn es denn sein musste, sagte er sie in wenigen Worten, knapp und präzise, ohne je etwas zurückzunehmen. Wer ihn nicht gut kannte, hätte ihn für mürrisch halten können, aber das war er nicht, er war nur zurückhaltend und basta, er musste nichts beweisen, er wollte nicht wer weiß was vorstellen, er wusste, was er wert war, und es genügte ihm, wenn er das selbst wusste. Sehen Sie, er war das erste Kind gewesen, und die ersten wissen, dass die Mama sie liebhat, eben weil sie die ersten waren. Alles – ein Wimmern, ein Pipi, das erste Wort – erlebt die Mutter zum ersten Mal, und es ist ein bewegendes Ereignis für sie, und das Kind merkt das, spürt das. Beim zweiten Kind dagegen rührt sie das alles kaum noch, weil sie es ja schon gesehen – und gelernt – hat, außerdem hat sie zu tun, sie kann schließlich nicht ihre Zeit damit vertrödeln, wegen jeder Lappalie bei ihm zu bleiben. Und da kann man machen, was man will, und man tut das auch, man macht alle möglichen Klimmzüge, damit sie einen beachtet, damit sie einem endlich zulächelt, einen bemerkt und am Ende auch ein bisschen liebhat. So ist das nun mal, so ist das Leben: »Einige sind halt auf Rosen gebettet«, sagte eine Hure in Rom zu meinem Onkel Pericle. Sie war nicht so schön – oder jedenfalls nicht auffällig –, sie war nicht so gefragt, auch wenn sie dann bei der Arbeit besser war als die anderen, weshalb Onkel Pericle treuer Stammkunde bei ihr war. Hingegen war da eine andere, ein bisschen hübscher und recht aufgetakelt, die spielte sich auf und zierte sich, und die Chefin gab all ihren Launen nach; je frecher sie war, desto freundlicher lächelte sie ihr zu, während sie die andere – die Hure von Onkel Pericle, die nicht so schön war, aber gut arbeitete, sie konnte Tote zum Leben erwecken, sagte er –, je mehr sie sich Mühe gab und ihr sogar die Zimmer machte wie ein Dienstmädchen, nur desto schlechter behandelte und ihr anschaffte: »Schau nach, ob Mimi etwas braucht.« Und so blieb dieser Untröstlichen nichts anderes übrig, als sich mit meinem Onkel Pericle zu trösten: »Einige sind halt auf Rosen gebettet, und andere auf Stein.«
    »Ja, ja, da ist nichts zu machen«, stimmte er zu und drehte noch eine Runde. Aber das Schönste ist, dass die Ältesten das gar nicht merken. Sie sind eifersüchtig auf die Zweitgeborenen, sie sagen zur Mutter: »Du machst Unterschiede, ihm gibst du mehr«, diesem Unglücksraben, der ohnehin schon Klimmzüge macht. Sie hatte recht, die Hure von meinem Onkel Pericle, denn sie, die Erstgeborenen, machen das eigentlich nicht extra, sie sind wirklich überzeugt. Als sie auf die Welt kamen, die Ärmsten, war die Mutter ganz für sie da. Dann kam da dieser andere, der zweite, und die Mutter war abgelenkt, musste sich abwenden, wenn auch nur kurz, um dem anderen wenigstens ein bisschen was geben zu können; Brosamen im Verhältnis zu dem, was sie dem ersten gegeben hatte. Aber für den Erstgeborenen ist sogar dieser Brosamen noch, der dem zweiten gegeben wird, Diebstahl am Seinigen: »Du machst Unterschiede.«
    Er vertrug sich mit allen Geschwistern gut; nicht viele Worte, aber gutes Einvernehmen, auch wenn er nie mit den kleineren Geschwistern spielte oder sie auf den Knien reiten ließ. Seine eigenen Kinder übrigens auch nicht. Er hatte zu tun, auf seine Kinder schaute er und basta, mit diesem Blick, von dem man nie wusste, ob er vergnügt oder ärgerlich war. Zurückhaltend war er, Onkel Temistocle, und auch in den Puff zu den Huren war er im Krieg als Soldat nie gegangen. Wenn die anderen loszogen, fragten sie ihn wohl: »Kommst du mit?«
    Und er: »Nein.«
    »Aber wir können morgen tot sein.«
    »Dann sind wir halt tot«, sagte Onkel Temistocle. Als er jedoch auf Fronturlaub nach Hause kam und dieses hübsche Ding sah, das ihm zulächelte, erwiderte er das Lächeln, und so ging das die ganze Zeit über in diesem Urlaub, ohne ein Wort zu wechseln, oder doch fast. Erst am letzten Abend – als er am folgenden Tag wieder fortmusste und keiner wusste, ob er wiederkommen würde – sah er sie unentwegt

Weitere Kostenlose Bücher