Canale Mussolini
Pericle gekommen war und gesagt hatte: »Ihr solltet hingehen und mit dem Pfarrer von Comacchio reden, lässt Rossoni ausrichten«, und mein Onkel aufgebrochen und nach Comacchio gegangen ist.
»Herr Pfarrer«, hatte er energisch zu ihm gesagt. Er war nicht im schwarzen Hemd in der Sakristei erschienen, sondern in normaler Sonntagskleidung, sauberes Hemd, Jacke und Hose ebenfalls sauber, allerdings mit einem Flicken hier und da, denn man schaffte sich ja nicht jedes Jahr einen neuen Anzug an; eine Jacke musste ein Leben lang halten und ging dann auch noch von einem auf den anderen über.
»Herr Pfarrer, kümmert Ihr Euch um das Seelenheil«, hatte er zu ihm gesagt, »um das körperliche Wohl kümmern wir uns.«
»Hä?«, machte der, denn als er ihn eintreten sah, hatte er gedacht, es wäre für eine Hochzeit oder etwas anderes, und so begriff er nicht gleich.
»Die Politik!«, präzisierte mein Onkel: »Lasst die Finger von der Politik«, und ich weiß nicht, ob er einen drohenden Ton anschlug oder nicht; vielleicht war es ein Tonfall der Überredung, und sie plauderten auch ein wenig. Vielleicht hatte der Pfarrer von Comacchio versucht – auch er im Tonfall der Überredung –, ihm vom sozialen Gedanken der Kirche zu erzählen, und am Schluss sagte er in überredendem, aber bestimmtem Ton zu ihm: »Ich tue nur den Willen Gottes.«
»Macht doch weiter so, wie Ihr es zweitausend Jahre lang gehalten habt, warum jetzt plötzlich etwas ändern?«, herrschte Onkel Pericle ihn in etwas weniger überredendem Ton an. Und bevor er ging: »Ihr seid gewarnt!«
Der in Comacchio jedoch stieg am folgenden Sonntag in der Messe auf die Kanzel und sagte gleich zu Beginn: »Die Faschisten haben mich bedroht, und indem sie mich bedrohten, haben sie die Kirche und das gesamte Volk Gottes bedroht, nicht nur mich, der ich ein Schäfchen bin, das nicht zählt. Zum Schutz der Kirche und des Volkes Gottes darf aber dieses Schäfchen, auch bei Gefahr des eigenen Lebens, eine solche Drohung nicht wehrlos erdulden, sondern es muss seine schwache Stimme auch fürderhin zur Verteidigung der Freiheit aller vernehmen lassen.«
Ich sage Ihnen nicht, was da in Comacchio los war. Kaum draußen aus der Messe, behandelten alle die Faschisten, die zufällig vorbeikamen, wie Aussätzige. Bei uns zu Hause dagegen – in Codigoro – saßen meine Onkel noch beim Essen. Sie hatten das Sonntagsmahl noch nicht beendet – am Tisch zündeten sich allmählich die ersten eine Zigarre oder eine gedrehte Zigarette an – und freuten sich auf die nachmittägliche Ruhe, denn es war heiß und schwül, gerade erst Mitte August vorbei –, als man von der Hauptstraße her das Knattern eines Motorrads hörte, eines dieser Motorräder aus dem Krieg. Onkel Pericle ahnte, dass das für ihn war, und ging hinaus. Um die Füße strich ihm Paride, der Sohn des Bruders, und rief: »Onkel, Onkel, Motorrad«, und er hob ihn hoch.
Der auf dem Motorrad, das war einer aus Comacchio – einer vom Fascio, einer von Balbos Leuten –, und er sagte zu ihm: »Hast du gesehen? Ein schönes Ergebnis, da hättest du gleich in Codigoro bleiben können, du und dein Rossoni«, und mein Onkel verfinsterte sich, wütend mehr auf den Faschisten aus Comacchio als auf diesen Priester. Er drehte sich um, brachte den Jungen – Paride – ins Haus, zog das Hemd an, klemmte sich die Jacke zusammengerollt unter den Arm und fuhr auch mit dem Motorrad davon, auf dem Rücksitz. Sie kamen durch Massafiscaglia, wo sie noch einen abholten – noch einen wie er, so entschlossen –, und zu dritt auf dem Motorrad kamen sie nach Comacchio.
Bis zum Abend warteten sie in einem Haus außerhalb der Ortschaft, abseits auch von der Straße. Kaum war es dunkel, aßen sie etwas und setzten sich in Bewegung. Sie machten vor dem Dorf halt, und der aus Comacchio schickte einen von den Seinen – einen weniger bekannten – ins Pfarrhaus, den Priester holen. Es ließ ihm sagen, er bräuchte die Letzte Ölung für seinen armen Großvater, der in seinem Haus draußen auf dem Land im Sterben lag, nur ein paar Schritte vom Dorf entfernt, so dass auch kein Wagen nötig war – man kam bequem zu Fuß hin –, genau an der Straße, wo Onkel Pericle und sein Freund aus Massafiscaglia warteten. Der Faschist aus Comacchio war unterdessen ins Wirtshaus an der Piazza gegangen und gab den Leuten zu trinken aus, um gesehen zu werden.
Mein Onkel und sein Freund warteten nicht auf der Straße, sie standen jenseits der Grabens
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