Canale Mussolini
alle noch vom Konsortium errichteten Dörfer umbenannte – offiziell hieß es, man wolle damit an die blutigen Schlachten erinnern, in denen ihre »Kämpfer« sich 1915–1918 geopfert hatten –, und sie gab ihnen ein für alle Mal neue Namen, so wurde Sessano zu Borgo Podgora, Passo Genovese zu Borgo Sabotino, aus Casal dei Pini wurde Borgo Grappa, und Villaggio Capograssa wurde zu Borgo San Michele.
Littoria errichteten wir genau dort, wo zuvor das Villaggio del Quadrato gewesen war. Das rissen wir ganz ab. Machten es dem Erdboden gleich, da blieb kein Stein auf dem anderen. Das Konsortium hatte es nicht einmal vier Jahre zuvor gebaut. Es gab dort alles, was man sich nur wünschen kann: Kino, die faschistischen Freizeiteinrichtungen des Dopolavoro , Hallen, Lagerräume, Autowerkstätten, Feldbahn. Alles dem Erdboden gleichgemacht: Delenda Quadrato . Aber musste man denn wirklich alles abreißen? Wir hätten doch wenigstens einen Teil wiederverwenden können, oder man hätte Littoria ein Stück daneben – nur hundert Meter weiter – bauen können, und alles wäre gerettet gewesen. Aber keine Schlacht ohne Verluste, geschweige denn eine Revolution. Auch als in Frankreich die Restauration einsetzte, wurden als erstes die Freiheitsbäume ausgerissen, und in Italien wurden am 25. Juli 1943 überall die faschistischen Wahrzeichen aus Marmor von den Wänden abgeschlagen. Und da wollen Sie, dass Cencelli Quadrato intakt lässt, das die Hochburg der »weißen Garden« gewesen war, des Konsortiums und der Gegenrevolution? Das war das erste, was wir einrissen: » Vae victis , wehe den Besiegten«.
Aber wir waren noch an dem Punkt, als der Duce 1931 Cencelli beruft und der ONC die Pontinischen Sümpfe anvertraut. Von dem Augenblick an wird unter Volldampf gearbeitet: von früh bis spät, in drei Schichten rund um die Uhr bei der Aushebung des Canale Mussolini, auch nachts bei künstlicher Beleuchtung, egal ob es regnet oder die Sonne scheint. Sie hören erst auf, als die Arbeiten fertig sind, während früher nur tagsüber gearbeitet wurde, und auch das nur in den Monaten November bis April, dann Schluss, in den Sommermonaten wurden die Arbeiten unterbrochen, um Malariainfektionen vorzubeugen. Allein für die Trockenlegung der Piscinara hatte das Konsortium sieben Jahre veranschlagt – bis 1936, und zwar nur für den wasserbautechnischen Teil, ohne Besiedelung und Anbau –, und die hielten das auch noch für einen Rekord. Dann aber kam die ONC , die war schneller als Eddie Merckx, und noch vor Ende 1935 waren die gesamten Pontinischen Sümpfe nicht nur trockengelegt, sondern auch bebaut, mit Häusern, Dörfern und Städten.
Schon im Februar 1931 – kaum, dass der Duce und Rossoni es ihm gesagt hatten und als die vom Konsortium sich noch mit Büffeln und Wildschweinen im Unterholz im Schlamm wälzten – hatte Cencelli seine Techniker von der Leine gelassen, um Lokalaugenscheine vorzunehmen, Vermessungen und Untersuchungen durchzuführen und Bauvorhaben zu planen. Und im November 1931 – als er die ersten fünfzehntausend, durch Enteignung gewonnenen Hektar Land in Besitz nimmt – legt er wirklich los wie ein Bulldozer: Straßen, Brücken, Kanäle, Rodungen, Urbarmachung des Bodens, Bauernhöfe, Lager und alles, was Sie wollen. Anfangs meinten sie, für die Bauern würden die Höfe allein reichen: »Was wollen sie denn noch mehr?« Aber die von der ONC , das waren Leute, die konnten Fehler erkennen, und wie sie das so sahen, wurde ihnen allmählich klar, dass bei dem, was sie da machten – ein Wald von Pachthöfen, die tagtäglich wie Pilze aus dem Boden schossen –, dass da etwas nicht stimmte.
Tatsächlich waren Anfang November die ersten Siedler eingetroffen – darunter die Peruzzi –, lauter große Familien mit patriarchalischer Struktur. Aber eines war es, in einem Büro der ONC zu sitzen und sich diese sauberen und glücklichen Bauern vorzustellen, etwas anderes war es, sie jetzt in Fleisch und Blut vor sich zu haben, mit ihren Kindern, in den Häusern und auf den Höfen. Die konnten schließlich nicht nur arbeiten. Das hatten die Techniker der ONC nicht bedacht. Die dagegen – die Bauern – schnappten sich Samstag und Sonntag und so oft sie konnten das Fahrrad, und ab nach Sessano, denn dort gab es ein Wirtshaus, Kino und einen Tanzsaal. Es war ein reger Fahrradverkehr, und Sessano wurde »Klein Paris« genannt.
Da sagte man sich bei der ONC : »Hier müssen überall kleine Landdörfer her,
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