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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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sein Lämmchen leblos auf den Armen darbietend. »Verflucht die Grafen Zorzi Vila«, dachte bei sich Onkel Pericle, der neben ihm stand, aber der Eisenbahner verlangte, dass er den Jungen wieder auf den Boden legte: »Man muss warten, bis die Obrigkeit kommt. Holen Sie bitte ein Leintuch, um ihn zuzudecken, oder ein Tischtuch.«
    »Aber was heißt denn hier Obrigkeit?«, schrie unterdessen der Scharführer der Eisenbahnmiliz. »Die Obrigkeit hier bin ich! Nehmt diesen Jungen und setzt den Zug wieder in Bewegung, ich habe meine Befehle.«
    Sie stritten ein bisschen hin und her: »Der Zugführer bin ich«, sagte der Eisenbahner. »Und ich bin die Miliz«, erwiderte der andere.
    Unterdessen war der Vater am Zug entlang nach vorn zu den Passagierwaggons gegangen, um etwas aus dem Wäschesack zu holen. Aber auf dem Weg dorthin sah er von weitem an der offenen Abteiltür – am Türgriff baumelnd – den Käfig mit dem Kaninchen darin. Er riss ihn von der Tür und zerdrückte ihn dabei auch schon mit den Händen. Dann packte er das Kaninchen, schlug es mit dem Kopf gegen die Waggonwand und warf es tot ins Gebüsch unter der Böschung.
    Als vom Bahnhof Littoria her endlich zu Fuß Carabinieri eintrafen, ließen Eisenbahner und Milizionäre die Leute wieder einsteigen und den Zug weiterfahren. Zwei Stunden Verspätung. Dort blieb nichts als die Stille zurück, unterbrochen nur vom leisen Rauschen des Wassers unter den Bögen der Marchi-Brücke, im schon gut gefüllten Bett des Canale Mussolini. Zwei Jahre später riss das Hochwasser vom 4. November – wie ich Ihnen schon erzählt habe – alles mit, die ganze Marchi-Brücke. Sie musste neu gebaut werden – größer und solider –, an der Stelle, wo sie heute ist und wo sie auch früher war, denn dort verläuft die Eisenbahnlinie. Und man musste den Querschnitt des Kanals vergrößern, ihn neu graben und erweitern. Onkel Iseo, der dort arbeitete, erzählte, dass er diesmal auch fünfzig Centesimi unter die neuen Fundamente geworfen hatte, für den armen Benito Mambrin.
    Bei dem kleinen Leichnam waren nach Abfahrt des Zuges dort auf der Böschung nur die Eltern zurückgeblieben. »Kümmert ihr euch um alles«, hatte der Vater zu seinen Brüdern gesagt und ihnen das Vieh und die anderen Kinder anvertraut.
    »Mach dir keine Sorgen«, hatten sie geantwortet.
    Er und seine Frau blieben am Boden sitzen – die Carabinieri etwas weiter weg – und betrachteten den kleinen Leichnam, der mit einem weißen Tischtuch aus der Brautaussteuer zugedeckt war. Der Saum war ringsum bestickt. Nur zwei kleine rote Blutflecken, auf der Höhe des Ärmchens und des Kopfes. Sie weinte und hielt sich den Bauch. Er hingegen hielt sie an den Schultern.
    Bevor der Zug wieder anfuhr, stieg Großmutter aber die Böschung hinunter, um im Gestrüpp nach dem Kaninchen zu suchen; so lang, bis sie es gefunden hatte und wieder hinaufgestiegen war, während der Eisenbahner rief: »Los, los! Fangt Ihr jetzt auch an?« Sie gab es der Großmutter Mambrin – ihrer Verwandten – und sagte sanft zu ihr: »So könnt ihr es wenigstens essen heute Abend.« Eine meiner Tanten sagte leise zu einer ihrer Schwestern: »Das war sie!«, nämlich Armida, die Schwägerin. »Erinnerst du dich nicht, mit was für Augen sie die Mutter bei der Abfahrt angeschaut hat, als die wegen dem Bienenhaus schimpfte? Die hat sie verhext.«
    Benitíns Eltern kamen am folgenden Tag auf ihren Hof, in der Kalesche begleitet von einem Verwalter der ONC : »Hier ist es«, zeigte er ihnen und ließ sie auf der Straße vor der Zugangsbrücke aussteigen.
    Alle kamen ihnen entgegen, und die Alte, Großmutter Mambrin, umarmte sie und sagte: »Ich habe euch ein Stück Kaninchen übrig gelassen.«
    »Danke, Mama.«
    Benitino war am Morgen auf dem Friedhof von Sermoneta beigesetzt worden – Grund der Caetani, weil der Friedhof von Littoria noch nicht fertig war –, nachdem die Eltern die ganze Nacht hindurch allein in der Kapelle bei ihm gewacht hatten. Jetzt war er unter der Erde, und alle – wir auch, Verwandte und Straßennachbarn, alle Familien gingen hin und sprachen ihr Beileid aus – setzten einen Augenblick lang ein trauriges, zerknirschtes Gesicht auf, aber dann mussten wir uns schleunigst unserem Leben zuwenden, uns um die neuen Aufgaben kümmern, vor die das Gelobte Land uns stellte. Wir waren hier, wir waren von weit her gekommen, mussten ein neues Leben aufbauen. Konnten wir uns da mit dem Tod aufhalten? Benito Mambrin war von uns

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