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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pennacchi Antonio
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aufrecht, Schultern und Brust weit, sie wirkte wie die Königin von Savoyen –, sie gefiel ihr, weil sie einen stolzen Charakter hatte, sehr lieb war zu Kindern, auch zu denen anderer, und sehr lieb zu allen Pflanzen, Tieren oder Menschen, die schwächer waren als sie; aber beinhart und verächtlich gegenüber allen, die meinten, sie wären härter und verächtlicher als sie: »Die richtige Frau für Pericle.«
    Aus ebendiesen Gründen fand sie bei den Schwestern ihres Mannes keinen Anklang und kam auch nie so gut mit ihnen aus. Die anderen Schwägerinnen, die Frauen der Brüder, ja, die waren echte Freundinnen und Schwestern für sie: die Frau von Onkel Temistocle und vor allem die von Onkel Iseo. So sehr die drei Brüder verbunden waren, so sehr waren es auch ihre Frauen. Schwestern sagte ich, und mehr noch: Freundinnen, denn Schwestern verstehen sich ja nicht immer so gut. Wir waren ein Haufen Leute, und wenn wir auch alle vereint waren, waren wir doch nicht alle auf dieselbe Art miteinander vereint. Beim geringsten Verdacht einer Bedrohung von außen schlossen wir uns alle zusammen wie eine Faust – Männer, Frauen, Tiere und Kinder. Aber bei sich müssen meine Tanten damals wohl gedacht haben, die Gefahr von außen sei eben Armida. »Die da bei uns im Haus? Die vom Pellegrín?«
    Ich weiß nun nicht, ob das stimmt, was über sie und Pellegrini so geredet wurde. Es hieß auch, sie hätte als ganz junges Ding ein Kind bekommen und es an der Drehlade des Waisenhauses abgegeben. Wie Sie wissen, war das gar nicht so selten damals. Im Grunde lebten wir ja nicht wie im Kloster. Wir kamen aus Venetien, aber vor allem aus dem Ferraresischen, und dort ist noch niemand ein Vorbild an Moral und Sittsamkeit gewesen. Sicher gab es auch da ein bisschen Religion, aber in die Messe am Sonntag gingen nur die Frömmsten. Alles Übrige wurde nicht so genau genommen, man drückte gern ein Auge zu. Und dann, was sollte man bei dieser Armut mit Anstand und guter Erziehung schon anfangen? Dort wurde gevögelt. Erst wurde gevögelt und dann nachgedacht. Und wenn eine schwanger wurde, wenn sie wirklich arm oder zu jung war, suchte man eine weise Frau, die ihr die Gebärmutter mit einer Stricknadel anstach, oder wenn man die nicht finden konnte, wartete man, bis das Kind zur Welt kam, und brachte es ins nächstgelegene Nonnenkloster. Man legte es in die Drehlade, die eigens zu diesem Zweck im Tor angebracht war, drehte um und fertig: Jemand würde sich darum kümmern. Und tatsächlich gab es bei den Pachtbauern jede Menge Burschen, die die Leute sich bei den Nonnen geholt hatten, wegen der Unterstützung, die der Staat für Waisenkinder zahlte, und um sie dann auch noch gratis arbeiten zu lassen. So ähnlich wie die Ausbildungsverträge heute.
    Es gab aber auch viele Mädchen, die weder zu jung noch zu arm waren und vielleicht nur aus Versehen mit dem Falschen gevögelt hatten – der, weil er zu arm war, womöglich eines Tages plötzlich nach Amerika oder nach Frankreich aufbrach, oder zum Militär einberufen wurde oder einen Schlaganfall erlitt und tot war oder einen schlechten Charakter hatte und für einmal Vögeln taugen mochte, aber nicht für ein gemeinsames Leben, oder wirklich zu arm war, und dann sagte die Familie: »Lass gut sein, Kind, bleib hier, wir behalten Kuh und Kälbchen gern bei uns« –, sie waren schwanger geworden, hatten aber weder die Absicht, das Kind zu töten noch es wegzugeben. Dann blieben sie im Haus, in Erwartung, dass früher oder später der Richtige daherkäme und, wie man bei uns sagt, »Kuh und Kälbchen« nähme – und früher oder später kam der auch.
    Ich sage es noch einmal, ich weiß nicht, ob es stimmte, was meine Tanten – die Schwestern von Onkel Pericle – über seine Frau erzählten. Was ich allerdings weiß, ist, dass auch wir Ferrareser waren und dass auch wir, als wir ins Agro Pontino kamen, wie fast oder ausnahmslos alle venetischen, friaulischen oder Ferrareser Familien zusammen mit den Tanten auch ein paar überzählige Kälbchen an den Mann zu bringen hatten.

Es war jedenfalls ein Exodus, und als es dem Herrgott gefiel, fuhren auch wir pünktlich los, bei strömendem Regen. Unser Zug war aber der einzige in diesem ganzen Exodus, der mit Verspätung ankam, die Schwarzhemden von der Miliz und die Fürstin Caetani empfingen uns allesamt unter Fluchen dort am Bahnsteig. Auch bei uns war die Reise bis Rom und darüber hinaus noch glattgegangen, alles genauso wie bei den anderen,

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