Canard Saigon (German Edition)
26. April 2010, 19.23 Uhr
Als Marc Vanhagen den War Room betrat, richteten sich alle Augenpaare auf ihn. Niemand sprach ihn an, aber sein gesamtes Team starrte ihn erwartungsvoll an. Marc blieb an der Tür stehen und wartete, bis sie sich von allein geschlossen hatte. Er räusperte sich.
„Kollegen, ich wurde soeben von unserer Ablöse informiert. Der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit gibt in wenigen Minuten eine Presseerklärung ab, dann sind wir offiziell den Job los. Aber wir arbeiten weiter, bis wir abgelöst werden“, sagte Marc und ging zu seinem Schreibtisch. Im War Room herrschte betroffenes Schweigen. Wenn auch alle Teammitglieder gewusst hatten, dass ihre Ablöse unmittelbar bevorstand, traf sie die endgültige Entscheidung dennoch hart. Leise, mit hängenden Köpfen nahmen sie Arbeit wieder auf.
„Emma, schalt bitte den Fernseher ein. Gleich beginnen die Nachrichten. Und wir wollen ja den Auftritt unseres Chefs zur besten Sendezeit nicht verpassen“, rief Marc und setzte sich. Emma stellte den Fernseher an und drehte die Lautstärke höher. Im selben Moment, als die Signation der Nachrichten ertönte, sah Marc durch die Glasfront eine Gruppe von gut gekleideten Beamten auf die Tür des War Room zustreben. Augenblicke später betraten sie den Raum. Marc schluckte. Ihre Ablöse war eingetroffen. Und ausgerechnet Major Rauscheidl würde ihn ersetzen. Marc war entsetzt. Rauscheidl hatte er noch nie gemocht. Er war ein blasierter, arroganter Beamter, der für seine Karriere über Leichen ging. Eine Zeit lang hatte er in der Abteilung für Korruptionsbekämpfung gefuhrwerkt. Seine Methoden zur Überwachung, Abhörung und Verfolgung von Polizeibeamten waren derart berüchtigt, dass Josef Huttinger ihn sofort nach Amtsantritt versetzt hatte. Und jetzt war er wieder da. Marc stand auf und ging Rauscheidl entgegen.
„Herr Major, ich nehme an, Sie werden mich ablösen“, sagte er förmlich. Rauscheidl war einer der wenigen Beamten im BKA, dem Marc niemals das Du-Wort anbieten würde. Sie reichten sich auch nicht die Hand. Zu groß war die gegenseitige Abneigung.
„Tja, Herr Oberst Vanhagen, das war wohl nichts“, sagte Rauscheidl mit abschätziger Miene. „Sie hatten Ihre Chance. Lassen Sie jetzt die echten Profis ans Werk.“
Die Nachrichtensprecherin kündigte eben eine Live-Schaltung zum Bundeskriminalamt an. Der Reporter vor Ort meldete eine kurze Verzögerung der Presseerklärung, und die Redaktion schob noch einen Auslandsbeitrag ein.
„Herr Oberst, übergeben Sie bitte meinen Leuten Ihre dürftigen Ergebnisse. Vielleicht ist ja doch etwas Brauchbares dabei.“
Die Überheblichkeit und Feindseligkeit brachten Marc zur Weißglut. Er ballte die Fäuste, hielt aber seine Emotionen im Zaum. Ohne ein Wort zu sagen, blickte er sich um. 18 Mitglieder umfasste das neue Team. Vier Computerspezialisten wollten eben die Schreibtische von Fritz und Johannes übernehmen.
„Wann ana von eich ausgschwabtn Dateikadavern mei Tastatur berührt, brich i eam des Gsicht“, drohte Fritz Stainer.
„Und des mant er ernst. Do brauchts eich mochn kane Surgn“, sagte Johannes, während er mit der rechten Hand über seinen Sichelbart strich. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust und stellte sich breitbeinig neben Fritz.
„Und i geh ois Zeuge, dass er eich gounz allan vabliaten hout loussn“, sagte Red Bull Pauli und stellte sich neben Johannes.
„Herr Oberst Vanhagen, pfeifen Sie sofort Ihre Raufbolde zurück“, entrüstete sich Major Rauscheidl. „Dass dieses Verhalten ein Nachspiel haben wird, ist Ihnen hoffentlich klar.“
Marc lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Aber in diesem Moment schaltete die Redaktion live ins Bundeskriminalamt. Zwei Stockwerke unter ihnen trat Dr. Seewald vor die Kameras und gab seine Erklärung ab.
„Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie wissen, treibt seit zwei Wochen ein Serienmörder in Wien sein Unwesen. Aufgrund massiver medialer Angriffe auf das Ermittlungsteam habe ich mir heute selbst ein Bild von der Arbeit der Sonderkommission gemacht. Und bin zu folgendem Schluss gekommen. Die Ermittlungsgruppe, mit Oberst Vanhagen an der Spitze, leistet erstklassige Arbeit. Sämtliche Vorhaltungen von medialer Seite entbehren jeglicher Grundlage. Ich bin äußerst zuversichtlich, dass die gründliche Arbeit der Sonderkommission schon in den nächsten Stunden oder Tagen zu einem erfolgreichen Abschluss führen wird. Ich bin stolz, solch fähige Mitarbeiter
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