Canard Saigon (German Edition)
aussieht, hat er sich nichts zuschulden kommen lassen. Wir fragen nur, um alle Eventualitäten ausschließen zu können.“ Marc bedankte sich für das Gespräch und verabschiedete sich von der Frau. Er verließ die Galerie und marschierte in die Rabensteingasse. Das Krah Krah , sein absolutes Lieblingslokal, öffnete eben seine Pforten. Er ging in das Bierlokal und stellte sich an den hinteren Teil der langen Theke. Aus über 50 angebotenen Sorten wählte er ein Glas helles Bier aus einer kleinen österreichischen Brauerei. Dazu bestellte er Schwarzbrot, belegt mit einer Eierspeise mit Grammeln. Aus den Lautsprechern tönte Jazzmusik. Marc fühlte sich pudelwohl. Er nahm sein Handy und wählte die Nummer von Thomas Gridler. „Lasst Burek frei“, sagte er.
Wien, Montag, 26. April 2010, 18.15 Uhr
Marc Vanhagen saß im War Room. Gedanklich ordnete er die Fakten der Mordserie. Sie hatten einen dringend Tatverdächtigen, der unauffindbar war. Die Befragung von Bernhard Bayer hatte nichts ergeben. Weder das Bild noch der Name des verdächtigen Chirurgen kamen ihm bekannt vor. Bayer meinte nur, dass er sich Dutzendgesichter erst merke, wenn er sie tatsächlich zwölf Mal gesehen habe. Aber wenn er schon zur Aufklärung nichts beigetragen hatte, die gute Laune, die Sandra Kessler versprühte, war sein Verdienst. Die Erfolgsmeldung hatte Simon Hoffer gebracht. Der Zahnarzt und Freund von Bayer hatte den Doktor erkannt. Und er war ziemlich sicher, dass Klein an jenem Abend zu der Runde gehört hatte, der Bernie die Geschichte aus Saigon erzählte hatte.
Gut, uns fehlt zwar jeder Beweis, dachte Marc, aber wir wissen zumindest, in welche Richtung wir ermitteln müssen. Erst müssen wir den Arzt finden, der wird uns zum Kastenwagen und zum Tatort führen. Da finden wir dann die nötigen Beweise, dachte Marc über die künftige Ermittlungsarbeit nach. Plötzlich schoss ihm eine heiße Welle durch den Körper. Da stand noch dieses Treffen mit dem Oberboss bevor. Blitzartig kamen ihm seine Überlegungen lächerlich vor. In ungefähr einer Stunde würde er seinen Job los sein. Und er machte sich Gedanken über die weitere Vorgangsweise. Wie ein trotziges Kind versuchte er, die Mordserie aus seinem Kopf zu bekommen. Er konzentrierte sich auf das köstliche Brot und das prickelnde Bier im Krah Krah . Und er dachte daran, dass er in etwa zwei Stunden bei seiner Familie sein würde. Er malte sich aus, wie er entspannt, an der Seite seiner Frau, einen gemütlichen Fernsehabend verbringen würde. Und er würde alle Informationen über die restlichen Draft-Runden der Dallas Cowboys in sich reinsaugen. Kurz überlegte er, ob er seinen Abgang dramatisch gestalten sollte. Aber dann entschied er, dass er einfach gehen würde.
„Kleine Lektüre gefällig?“, fragte Fritz Stainer und unterbrach Marcs Tagträume. Er legte einen unbeschrifteten hellbraunen Ordner auf den Schreibtisch und schob ihn zu Marc. Fritz verzog sein Gesicht zu einem gequälten Lächeln, kniff kurz sein rechtes Auge zu und ging ohne weitere Worte zu seinem Arbeitsplatz zurück. Marc sah ihm nach und legte seine Stirn in Falten. Geistesabwesend legte er sich den Ordner zurecht und öffnete ihn. Auf dem obersten Blatt eines Stapels von Papieren erkannte er handschriftliche Notizen. In eilig hingeschmierten Druckbuchstaben stand ganz oben „100%-ig“, darunter „Originaldaten gesichert“ und in der letzten Zeile „oft kopiert“. Marc konnte sich auf diese kryptischen Mitteilungen keinen Reim machen. Er hob den Kopf und blickte zu Fritz, der an seinem Schreibtisch saß und in die Tastatur hämmerte. Marc wandte sich wieder ein wenig verwirrt dem Ordner zu und blätterte um.
Wien, Montag, 26. April 2010, 18.55 Uhr
Das Sekretariat Josef Huttingers wirkte befremdlich, als Marc Vanhagen das Büro betrat. Der Direktor saß wie ein Besucher seitlich am Schreibtisch seiner Chefsekretärin und schlürfte Kaffee. Seine langjährige Mitarbeiterin, die ihn auf allen Stationen seiner Karriere begleitete hatte, täuschte Arbeit vor. Aber Marc blieben die Tränen, die über ihre Wangen liefen, nicht verborgen.
„So schlimm ist es?“, fragte Marc. Josef nickte.
„Aber es sieht schlimmer aus, als es ist“, sagte er. „Der Generaldirektor sitzt in meinem Büro und erwartet dich. Danach bin ich dran.“
„Wirst du auch abgesägt?“
„Du wirst vom Fall abgezogen und ich werde beurlaubt. Sie werden mir vorschlagen, um meine sofortige Pensionierung anzusuchen. Dann habe
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