Canard Saigon (German Edition)
ich endlich Zeit, fischen zu gehen“, sagte Josef. Bei diesen Worten heulte die Sekretärin auf und vergrub ihr Gesicht in einem Taschentuch.
„Für meinen Abschuss sind 15 Minuten eingeplant. Ist das richtig?“, fragte Marc. Josef nickte abermals.
„Dann verkürz dir die Zeit, während du wartest“, sagte Marc und überreichte ihm einen Ordner.
In diesem Moment öffnete sich die Bürotür von Josef Huttinger, und Dr. Seewald erschien.
„Herr Oberst, darf ich bitten?“ Marc betrat das Büro, und der Generaldirektor schloss die Tür. Er bat Marc, auf dem Besuchersessel Platz zu nehmen, und setzte sich selbst hinter den Schreibtisch.
„Herr Oberst Vanhagen, wenn Sie gestatten, komme ich gleich zur Sache.“
Und wenn ich es nicht gestatte, was machst du dann, du Würstchen, dachte Marc, aber er sagte nichts.
„Wir werden von einer ekelhaften Mordserie heimgesucht. Ich habe Ihnen vertraut und Ihnen völlig freie Hand für die Aufklärung der Morde gewährt. Aber die Resultate, die Sie bisher geliefert haben, sind äußerst dürftig. Die Öffentlichkeit ist berechtigterweise empört, und die Medien zerreißen uns förmlich. Herr Oberst, ich bin persönlich betroffen und maßlos enttäuscht. Schon die Auswahl Ihrer Teammitglieder rief einige Skepsis in mir wach. Aber bitte, habe ich mir gedacht, vielleicht irre ich auch. Er soll ja so brillant sein. Er wird schon wissen, was er tut. Aber wie sich herausstellt, hätte ich auf meine Intuition hören sollen. Daher nehme ich einen Teil des Desasters auf meine Kappe. Aber Sie werden verstehen, Herr Oberst, dass Sie mich zum Handeln gezwungen haben. Sie haben mit Ihrer Inkompetenz den guten Ruf der Sicherheitsorgane in diesem Land in den Schmutz getreten. Es liegt jetzt an mir, zu retten, was noch zu retten ist. Herr Oberst Vanhagen, ich entbinde Sie von der Leitung der Sonderermittlungsgruppe und löse Ihre Truppe auf. Ich habe bereits ein neues Team beauftragt, den Fall zu übernehmen. Sie begeben sich jetzt in Ihr Büro und sorgen dafür, dass alle Unterlagen ordnungsgemäß an die neue Sonderkommission übergeben werden. Ich selbst werde in einer Pressekonferenz meine Entscheidung bekannt geben. Unmittelbar danach erhalten Sie von mir eine schriftliche Weisung, die Ihre Vollmachten außer Kraft setzt und Sie anweist, ab morgen Ihre ursprüngliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Damit wäre unsere Besprechung zu Ende. Haben Sie noch irgendetwas zu sagen, Herr Oberst?“
„Danke, dass Sie mir ein paar Worte gewähren, Herr Generaldirektor. Ich nehme Ihre Entscheidung mit Bedauern zur Kenntnis. Als ich Sie bei unserer Besprechung in Ihrem Büro kennengelernt habe, dachte ich mir, der Mann hat Schneid. Endlich ein Generaldirektor mit Führungsqualitäten, der den Mut hat, unkonventionelle Entscheidungen zu treffen. Für mich, Herr Dr. Seewald, sind Sie nicht der aalglatte Arschkriecher, nicht der speichelleckende Erfüllungsgehilfe skrupelloser Politiker und nicht das machtgeile, geldgierige Charakterschwein, wie alle behaupten. Für mich sind Sie ein Spitzenbeamter, der seine gesamte Arbeitskraft in den Dienst seiner vorgesetzten Ministerin stellt und mit 100-prozentiger Loyalität ihre Anliegen vertritt. Herr Generaldirektor Dr. Seewald, ich sehe Sie als Lichtgestalt im Getriebe der öffentlichen Sicherheit.“ Marc stand auf und ging zur Tür. Bevor er sie öffnete, drehte er sich um und sah Seewald an. „Dazu fällt mir wohlmeinend Goethes Zitat des Götz von Berlichingen aus dem ersten Akt, in Jagsthausen, auf Götzens Burg, ein.“
Der Generaldirektor schnappte nach Luft. Schon während des kurzen Statements von Marc hatte sein Gesicht ein paarmal die Farbe gewechselt. Jetzt drohte er zu explodieren.
„Sie wagen es, mir ins Gesicht zu sagen, ich soll Sie am Arsch lecken? Ich suspendiere Sie mit sofortiger Wirkung. Ich hänge Ihnen ein Disziplinarverfahren an. Sie sind erledigt. Sie können Ihren Hut nehmen, dafür werde ich sorgen“, schrie Seewald mit hochrotem Kopf.
„Gemach, gemach, Herr Generaldirektor“, sagte Marc seelenruhig. „Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Ich spreche vom weltberühmten Zitat aus dem ersten Akt, in dem Götz von Berlichingen sagt: ‚Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.‘ Herr Generaldirektor, ich empfehle mich und schicke Direktor Huttinger herein. Auf Wiedersehen!“
Marc verließ das Büro und grinste über das ganze Gesicht. „Ihr Auftritt bitte, Herr Direktor“, sagte er zu Josef Huttinger.
Wien, Montag,
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