Canard Saigon (German Edition)
das größte Kompliment, das dieser hartgesottene Kämpfer aussprechen konnte. Ich war eine Nahkampfmaschine.
Ende September brachen wir unsere Zelte in Algerien ab. Wir wurden nach Oran gebracht und eingeschifft. Am Dienstag, dem 1. Oktober 1946, verließen wir den Hafen in Richtung Indochina. Kurz bevor unser Charterschiff, die Oriole , ablegte, hörten wir noch die Nachricht von den zwölf Todesurteilen im Nürnberger Prozess. Das sorgte auf der 24 Tage dauernden Reise nach Saigon für reichlich Gesprächstoff unter den Deutschen.
Indochina, 1946
Am 25. Oktober 1946 liefen wir Cap Saint Jacques, die vorgelagerte Hafenstadt Saigons, an. Die ersten Eindrücke der exotischen Landschaft waren überwältigend. Die vielen kleinen Inseln, das azurblaue Meer und das tropische Klima. Stundenlang saß ich an der Reling und bestaunte die paradiesische Aussicht. Ich war noch keine 18 Jahre alt. Bis vor wenigen Monaten hatte ich nur das ausgebombte Wien gekannt. Und von heute auf morgen taumelte ich über Frankreich nach Algerien und ans andere Ende der Welt, nach Indochina.
Die 125 Kilometer von Cap Saint Jacques nach Saigon legten wir mit Lastkraftwagen zurück. Für mich war es eine Reise durch ein Märchenland. Mein Gehirn sog die fremdartigen Naturschauspiele wie ein Schwamm auf. Palmen, Mangroven, üppige tropische Vegetation – welch ein Kontrast zur Steinwüste Algeriens. Als wir Saigon erreichten, fuhren wir durch geradlinig angelegte Straßen. Ich bewunderte die Vielfalt dieser Stadt. Europäische Bauten im Kolonialstil standen neben verspielten asiatischen Häusern. Die Menschen auf den Straßen wirkten aufgeweckt und fröhlich. Am beindruckendsten waren die unbeschwerten, zierlichen Mädchen in ihren pastellfarbenen Ao Dais. Unter diesen knie- oder knöchellangen, bis über die Hüfte hochgeschlitzten Seidenkleidern trugen sie meist weiße, weitgeschnittene Seidenhosen. Exotische Schönheiten, deren Anblick betörend war.
Wir wurden in eine Kaserne gebracht, wo wir Verpflegung und Uniformen ausfassten. Ich erhielt einen Teil meines Soldes und 24 Stunden Ausgang. In kleinen Gruppen wagten wir uns in die Stadt, um diese exotische Welt zu erkunden. Unser erstes Ziel war die Rue Catinat, die Flaniermeile Saigons. Teure Einkaufsläden, feine Bars und noble Restaurants zogen die betuchten Gesellschaftsschichten magisch an. Französische Geschäftsleute, Offiziere der Fremdenlegion, reiche Chinesen, wohlhabende Vietnamesen und vereinzelt englische und amerikanische Handelstreibende spazierten mit ihren elegant gekleideten Frauen durch die Einkaufsstraße. Prachtvolle Bauten wie das von Gustave Eiffel errichtete Hauptpostamt oder Notre Dame, eine aus rotem Backstein gebaute Kathedrale mit zwei weißen Türmen, versprühten französisches Flair. Als wir das Hotel Continental erreichten, diskutierten wir kurz, ob wir uns hineinwagen sollten. Mit seiner weißen Fassade und dem rotierenden Globus auf dem Dach war es die Bastion der feinen französischen Gesellschaft. Jeder, der etwas auf sich hielt, ließ sich auf der Terrasse dieses Hotels sehen. Als wir sahen, welch vornehme Gesellschaft sich im Hotel tummelte, verließ uns der Mut. Wir kamen uns neben den betuchten Gästen schäbig vor und zogen weiter.
Zwischen den prachtvollen Gebäuden waren großzügige Parks nach europäischem Muster angelegt. Nach einer kurzen Rast an einem schattigen Plätzchen spazierten wir zum Boulevard Chamer, den Champs-Élysées des Ostens. Besonders faszinierte mich das mächtige Rathaus, ein Kolonialbau mit Säulen, Figuren und Fensterläden – ein imposantes Zeichen französischer Macht. Mit Fahrradtaxis mischten wir uns in den lebhaften Verkehr. Das Straßenbild war geprägt von Fahrrädern, nur ab und zu sah man Autos oder militärische Fahrzeuge. Wir ließen uns in die Zwillingsstadt Saigons, nach Cholon, fahren. Ich staunte über die krasse Gegensätzlichkeit. Lärmende Straßenhändler, verstopfte Straßen, Gebäude in asiatischem Stil, reichlich mit bunten Drachen, goldenen Löwen und mystischen Figuren geschmückt, prägten das Stadtbild. Cholon, Saigons Chinatown, war ein brodelnder Kessel. Chinesische Apotheken, Restaurants, Bars und kleine Läden für alle erlaubten und verbotenen Bedürfnisse waren hier zu finden. Spielhöllen, Drogenhändler, berüchtigte Opiumhöhlen und jede Menge Bordelle boten ihre Dienste an. Hier fand jedes Laster seine Befriedigung. Wir schlenderten durch die Gassen Cholons. In den kleinen
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