Canard Saigon (German Edition)
schmerzte, mein Körper war übersät mit blauen Flecken. Orientierungslos und verzweifelt schlurfte ich durch die havarierte Halle des Bahnhofs. In diesem Zustand war ich eine willkommene Beute für einen Anwerber der französischen Fremdenlegion. Am nächsten Tag saß ich mit zehn weiteren Bewerbern im Zug nach Offenburg, wo die Fremdenlegion ein großes Barackenlager unterhielt. In den nächsten acht Tagen wurden wir gründlich untersucht. Ich war jung und kräftig und hatte keine Narben. Daher bestand ich den Gesundheitstest ohne Probleme.
Am 3. März wurden wir in einen Sonderzug verfrachtet, der uns nach Marseille brachte. Vom Bahnhof marschierten wir direkt zur alten Festung. Das Fort St. Jean erhebt sich auf einem Felsvorsprung und steht wie ein steinernes Mahnmal für all die verlorenen Seelen, die hier ein neues Leben beginnen. An den großen, eisernen Gittertoren standen Wachen mit den für die Fremdenlegion typischen weißen Käppis. Mir zitterten die Hände. Schweißgebadet marschierte ich, inmitten einer Horde von Rekruten, den schmalen steilen Weg hinauf zum Fort. Im Hof der Festung waren Schreibtische aufgestellt. Jeder Neuankömmling musste die geforderten Auskünfte erteilen und seinen Pass abgeben. Ein junger deutscher Unteroffizier stellte mir alle möglichen Fragen. Ich hörte ihn zwar, aber seine Worte rasten durch meinen dröhnenden Kopf, ohne eine Erinnerung zu hinterlassen. Er klärte mich auf, dass ich mir jeden Namen aussuchen könne, den ich wolle. Da ich kein Wort herausbrachte, schrie er mich an. Ich solle ihm gefälligst sagen, wie ich heiße, brüllte er. Mit bebenden Lippen stammelte ich meinen Namen. Er sah mich kurz an und kritzelte die französische Version meines Namens in seine Unterlagen. Seit diesem Tag heiße ich Charles Wegner.
Ich erhielt zwei Decken. Mir wurde ein kalter, zugiger Schlafplatz im Keller zugewiesen. Aber mich störte das nicht weiter, denn ich war an Kälte gewöhnt. Zwei Wochen dauerte der Aufenthalt im Fort St. Jean. Weckruf war um 5.30 Uhr. Mein Kopf wurde kahl geschoren, und ich erhielt Impfungen gegen Pocken und Cholera. Alle Bewerber mussten einen halben Liter Blut spenden. Das Essen war gut und reichhaltig. Ich trank das erste Mal französischen Rotwein. Da ich nicht gewöhnt war, zu trinken, hatte ich bald einen Vollrausch. Die älteren, geeichten Anwärter hatten ihren Spaß mit mir, als ich herumtorkelte. Als ich aber mitten in den Aufenthaltsraum kotzte, traf mich zum ersten Mal die Härte der Legion. Zwei Wachen schlugen mich brutal zusammen und warfen mich in eine Zelle zur Ausnüchterung. Die nächsten zwei Tage musste ich Latrinen putzen, dann war der Vorfall vergessen.
Wir bekamen Uniformen. Die Fremdenlegion war keine Armee wie die Deutsche Wehrmacht oder die Rote Armee, die ich schon kennengelernt hatte. Die Uniformen und Ausrüstungsgegenstände stammten aus Beständen aller möglichen Armeen. Wir fassten deutsche Stiefel, französische Hosen, englische Hemden und amerikanische Mützen aus. Unsere Truppe glich eher einem Faschingszug als einer gefürchteten Kampftruppe.
Am 15. März unterschrieb ich meine Verpflichtung. Ich wurde mittels Lautsprecher in eine Schreibstube beordert. Auf einem Schreibtisch lagen sechs Exemplare des Vertrags. Der Text war abgedeckt. Ich sah nur die Zeile für die Unterschrift. Das Herz pochte mir bis zum Hals. Erstmals sollte ich meinen neuen Namen unter ein Schriftstück setzen. Zitternd ergriff ich den Füller. Ich beugte mich über den Schreibtisch und kritzelte ungelenk Buchstaben für Buchstaben auf das Papier. Die letzten beiden Unterschriften gelangen mir schon zügiger. Ich richtete mich auf und besah mein Werk mit einer Mischung aus Stolz und Unsicherheit. Nun war ich für die nächsten fünf Jahre Teil der sagenumwobenen französischen Fremdenlegion.
Zwei Tage später wurden wir auf einen kleinen Dampfer verfrachtet und nach Nordafrika verschifft. Ich fuhr das erste Mal auf einem Schiff. Der Seegang schlug mir auf den Magen und ich kotzte mir die Seele aus dem Leib. In Oran gingen wir von Bord. Nachdem wir in einem Lager verpflegt worden waren, marschierten wir zum Bahnhof. Wir wurden in einen ziemlich mitgenommenen Zug verfrachtet und nach Sidi bel Abbès gebracht. Am nächsten Morgen standen wir vor dem legendären Hauptquartier der Fremdenlegion. Ich war überwältigt. Ich, Charles Wegner, ein junger Bursche, der bisher kaum über die Grenzen des 2. Wiener Gemeindebezirks hinausgekommen war,
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