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Canard Saigon (German Edition)

Canard Saigon (German Edition)

Titel: Canard Saigon (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Friesenhahn
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stand plötzlich vor dem berühmtesten Militärstützpunkt der Welt. Und ich war sogar Teil dieser Armee. Zeit zum Nachdenken fand ich nicht. Zu schnell wechselten die Schauplätze, zu viele neue, unbekannte Lebensumstände wirkten auf mich ein. Ich fühlte mich wie ein Blatt, das, vom sicheren Halt eines Astes losgerissen, von mächtigen Stürmen herumgewirbelt, in ein ungewisses Schicksal flatterte.
    Solange wir keine vollwertigen Legionäre waren, wurden wir in bewachten, mit Stacheldrahtverhau gesicherten, schäbigen Baracken untergebracht. Ich musste meine letzten zivilen Besitztümer abgeben. Die Hauptbeschäftigung unserer Truppe bestand aus Boden fegen, Küchendiensten und Steine klopfen. Wir fassten erneut eine Garnitur alter, bunt zusammengewürfelter Uniformen aus. Erstmals erhielten wir das berühmte weiße Käppi. Stolz wie ein Pfau setzte ich es bei jeder Gelegenheit auf. Ich fühlte mich wie ein großer Krieger.
    Am 25. März wurden wir verschiedenen Ausbildungslagern zugeteilt. In Lastwagen erreichte meine Gruppe am nächsten Tag um die Mittagszeit Saida am südlichen Fuß des Tellatlas – ein Lager mit einer langen Tradition und einem gefürchteten Ruf. Ich bezog mein Quartier und hatte zum ersten Mal das Gefühl, angekommen zu sein. Bisher hatte ich die Zeit seit Marseille wie in Trance erlebt. Jetzt erst realisierte ich, wohin es mich verschlagen hatte. Die Fremdenlegion war eine seltsame Truppe. War die Kleidung schon bunt zusammengewürfelt, erreichte die Vielfalt der hier gestrandeten Existenzen babylonische Ausmaße. Ein brodelnder Schmelztiegel, der gebändigt werden musste. Vom Arzt bis zum Hilfsarbeiter, vom Künstler bis zum Straßenräuber, hier war alles vertreten. Und 70 Prozent waren Deutsche. Sie strömten aus vielfältigen Gründen zur Fremdenlegion. Kriegsgefangene, die ihre Entlassung nicht erwarten konnten, Offiziere von SS-Verbänden, die sich eventueller Verfolgung entziehen wollten, Ausgebombte, die Besitz und Familie verloren hatten, Arbeitslose, Hungernde und von ihren Frauen und Bräuten Betrogene. Aber nicht nur Deutsche, diese legendäre Armee zog Menschen aus aller Herren Länder in ihren Bann. In unserer Rekrutentruppe waren über 50 Nationen vertreten. Sogar Franzosen, die mit den Deutschen kollaboriert und lange Haftstrafen zu erwarten hatten, ergriffen die Chance, sich zu rehabilitieren. Sie traten einfach als belgische oder Schweizer Staatsbürger ein, denn offiziell war einem Franzosen der Eintritt als Rekrut in die Fremdenlegion verwehrt. Und dieses Sammelsurium von 17- bis 40-jährigen Männern musste zu einer schlagkräftigen Einheit geformt werden.
    Die offizielle Sprache war Französisch. Alle Offiziere mussten Franzosen sein, die als fertig ausgebildete Führungskräfte aus regulären Armeeverbänden zur Legion stießen. Die Unteroffiziere waren langgediente Legionäre. Der Führungsstil war unkonventionell. Willkür und Fürsorglichkeit lagen eng beieinander. Manchmal wurden Rekruten von einem Feldwebel, einem Sergent, angebrüllt, zusammengeschlagen oder in den Arrest gesteckt. Dann wieder brachte derselbe Mann Zigaretten oder Wein auf die Stube und soff und sang mit uns in bester Laune.
    Die Ausbildung in Saida war die härteste Zeit meines Lebens. Ich lernte, mit den verschiedensten Waffen umzugehen. Ich lernte Französisch. Ich lernte, trotz Schlafentzug Sport zu betreiben und zu kämpfen. Und ich lernte marschieren. Brutale Märsche durch die Wüste, über steiles, felsiges Gelände drohten zu jeder Tages- und Nachtzeit, oft über 70 oder 90 Kilometer. Wer zurückblieb oder umfiel, wurde irgendwann aufgelesen, ins Lazarett gebracht und bei Dienstuntauglichkeit nach Hause geschickt.
    Auf diesen Märschen sangen wir. Und wir sangen lauthals. Vorwiegend Lieder der Deutschen Wehrmacht, mit französischen Texten unterlegt. Und wir lernten den Marsch der Fremdenlegion, der niemals in der Kaserne oder bei Paraden intoniert werden durfte. Wer dieses Lied einmal gehört hat, wird es nie wieder vergessen. Nach zwölf Wochen Grundausbildung stand der Raid Marche auf dem Programm. Bei glühender Hitze, es war Ende Juni, marschierten wir als Rekruten aus der Kaserne. Vier Tage lang kämpften wir uns, 150 Kilometer weit, im Legionärsschritt durch das Gelände. Steil ansteigende Hügel mussten wir erklimmen, durch Wüstengelände marschieren und Gewässer überqueren. Jede Stunde exakt fünf Kilometer, dann fünf Minuten Pause und wieder fünf Kilometer. Wenn wir nach

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