Candy
seiner Handfläche balancierte. Der Griff war so weiß wie seine Zähne, |230| die Klinge mit getrocknetem Blut befleckt. Ich versuchte zu schlucken, aber mein Mund war zu trocken.
»Das ist ja ’ne Überraschung«, sagte er. »Das ist ja echt ’ne Überraschung.«
Die Worte waren an mich gerichtet, sie wurden mir förmlich ins Gesicht geschleudert, aber ich hatte das Gefühl, als ob er nicht wirklich mit
mir
sprach – er sprach mit irgendwas anderem. Mit etwas, das er wollte, das er brauchte, das er sich von anderen nahm … mit etwas Unheimlichem.
Ich wollte gar nicht wissen, was es war.
Ich drückte mich langsam zur Seite … dann blieb ich stehen, die Klinge seines Rasiermessers an meiner Wange.
»Wo willst du hin?«, fragte Iggy. »Ist doch alles wunderbar hier. Willst du baden? Oder duschen? Dich hübsch machen, bevor wir loslegen? Hey? Hörst du mir überhaupt zu, Junge?«
Ich sagte nichts.
Er schob sein Gesicht bis auf zwei Zentimeter an meins heran, dann ließ er die Spitze seines Rasiermessers langsam an meiner Wange entlanglaufen, über mein Kinn bis auf meine Kehle, wo er die Klinge knapp unterhalb des Adamsapfels ruhen ließ. Ich spürte keinen Schmerz, nur ein kaltes, metallisches Zittern, darum nahm ich an, dass er mich noch nicht geschnitten hatte. Aber ich hatte keinen Zweifel, dass er dazu bereit war. Ich spürte, wie er die Klinge in seiner Hand drehte und mir dabei leicht in die Haut stach. Ich spürte, wie sich sein Blick in meine Augen bohrte, um nach der Angst und dem Schmerz zu suchen.
»Ich will dich lachen sehen«, flüsterte er. »Na los, zeig mir dein Lachen …«
Die Klinge drückte fester, durchbrach meine Haut und ich |231| wusste, es war zu spät, etwas zu tun. Die kleinste Bewegung von mir und das Rasiermesser würde mir die Kehle aufschneiden.
Ich schloss die Augen, hoffte auf die Ruhe, von der ich gehört hatte – die Ruhe, die du spürst, kurz bevor du stirbst. Sie soll einen betäuben, um den Tod zu einer schmerzfreien Erfahrung zu machen. Aber ich fand sie nicht. Das Einzige, was ich in meinem Innern fand, war die heulende Stimme der Panik:
Ich will nicht, dass mir was passiert. Ich will nicht sterben. Ich tu alles, um am Leben zu bleiben … alles … absolut alles. Nur töte mich nicht … bitte. Um Gottes willen, töte mich nicht …
»Bist du bereit?«, sagte Iggy und spannte seinen Arm an. »Bist du bereit zu lachen?«
Ich öffnete die Augen, weil ich nicht im Dunkeln sterben wollte, und nur für einen Moment sah ich das Licht meines Todes in Iggys Augen, das schwarze Licht, für das er lebte – und dann explodierte sein Kopf in einem krachend roten Geprassel von Sternen und alle Lichter gingen aus.
|232| 14. Kapitel
I ch bin mir nicht sicher, was ich in dem Moment dachte – vielleicht nichts, vielleicht alles:
Bin ich tot? Ist es das, was passiert? Endet es so? Mit einem Krachen, einem Herzschlag, einer tanzenden Explosion roter und schwarzer Funken …?
Ist
das
das Ende?
War es natürlich nicht.
Ich wusste, es war nicht das Ende. Es konnte nicht das Ende sein. Das Ende bedeutet
nicht
wissen. Das Ende ist bewusstlos. Und das hier war keine Bewusstlosigkeit; es war einfach eine andere Welt. Ich sah etwas, hörte etwas, spürte etwas. Ich war empfindungsfähig. In dem matten Licht des Fensters sah ich Iggys Körper auf dem Boden des Badezimmers liegen. Ich sah Candy über ihm stehen, atemlos und angespannt, noch immer den Fuß der zylindrischen Lampe in der Hand. Ich sah die Scherben des zerbrochenen roten Glases, die explosiven Überreste über das ganze Badezimmer verstreut – auf dem Fußboden, in der Badewanne, im Waschbecken … im dicker werdenden Blut an Iggys Hinterkopf.
Ich konnte mein Herz hören.
Und Candys flache Atemzüge.
|233| Ich spürte die Todesangst.
Candy sah mich an. »Alles in Ordnung mit dir? Du blutest.«
Ich führte meine Hand an die Kehle und berührte die kleine Schnittwunde. Sie fühlte sich scharf an und feucht. Als ich meine Finger betrachtete, wirkte das dünn verschmierte Blut unglaublich knallig. Wie Spielzeugblut. Zu rosa, um echt zu wirken.
Ich sah nach unten auf Iggy. Er rührte sich nicht.
Ich sah Candy an. Blass und erregt.
Sie sagte: »Er atmet noch.«
Ihre Stimme klang seltsam fern.
»Bist du sicher?«, fragte ich sie.
Sie nickte. »Wir sollten irgendwas tun … bevor er zu sich kommt.«
»Etwas tun?«
Sie sah mich an. »Wenn nicht, sind wir beide tot.«
Ich schaute
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