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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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zu ihr zurück und fragte mich, was sie wohl meinte mit
irgendwas tun
. Ihn fesseln? Weglaufen? Oder ob sie vielleicht an etwas Dauerhafteres dachte? Es war eine Möglichkeit – ich konnte es ihr ansehen. So wie sie ihn betrachtete. Der lange angestaute Hass in ihren Augen. Wie sie dastand und den Lampenfuß in ihrer Faust hielt.
    Sie könnte ihn töten
, dachte ich.
    Wenn sie wollte.
    Sie könnte es hier und jetzt beenden.
    Was empfand ich dabei?
    Ich weiß nicht. Ich wusste nicht,
wie
ich es wissen sollte. Um ehrlich zu sein, in dem Moment bedeuteten
meine
Gefühle gar nichts. Sie waren irrelevant. Das hier hatte nichts mit mir zu tun. Ich war nur Zuschauer. Hier ging es allein um Candy: ihr Leben, |234| ihren Tod, ihre Entscheidung.
    Es ist deine Sache
, dachte ich, während ich ihr in die Augen sah.
Ich kann dir dabei nicht helfen. Das Einzige, was ich sagen kann, ist: Was immer du tust, ich bin einverstanden.
    Keine Ahnung, was ich glaubte tun zu können – unausgesprochene Nachrichten aussenden, hoffen, sie könne meine Gedanken lesen   –, auf jeden Fall schien es mir zu der Zeit das Richtige zu sein. Ob es funktionierte oder nicht, weiß ich bis heute nicht. Aber während wir uns weiter ansahen und in der Stille atmeten, sah ich, wie etwas aus Candys Augen verschwand, und ich hatte das Gefühl, als ob sie sich von einem Ort zurückzöge, an dem sie nicht wirklich sein wollte. Der Hass und die Anspannung lösten sich langsam aus ihrem Körper, ihre Augen wurden allmählich wieder lebendig und schließlich blinzelte sie, entspannte die Schultern und ließ den Lampenfuß zu Boden fallen.
    »Lass uns abhauen«, sagte sie erschöpft und warf einen Blick auf Iggy.
    »Okay.«
    »Such irgendwas, womit du ihn fesseln kannst, ich zieh mich inzwischen an. In Ordnung?«
    »Ja.«
    Sie drehte sich um und wollte gehen, dann hielt sie inne und schaute zu mir zurück. »Tut mir Leid«, sagte sie. »Ich hätte nicht   –«
    »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte ich. »Dir muss überhaupt nichts Leid tun. Es war meine Idee   –«
    »Er hätte dich umgebracht.«
    Genau da stöhnte Iggy – einen tiefen, keuchenden Atemzug. Wir beide sahen auf ihn herab. Er war noch immer außer Gefecht, |235| aber sein Atem wurde kräftiger. Candy und ich sahen uns einen Moment an, dann kamen wir in die Gänge.
     
    Während sich Candy schnell anzog und ein paar Sachen in eine Reisetasche warf, fand ich eine Rolle Klebeband und fing an, Iggy zu fesseln. Auch wenn er immer noch bewusstlos war, zitterten meine Hände vor Angst, als ich mich neben ihn kniete. So dicht vor mir war sein Körper gewaltig. Seine Haut felsenfest. Vernarbt, faltig, tätowiert. Seine Muskeln waren stärker als meine Arme. Während ich das Klebeband abrollte und Iggys Hände hinter seinen Rücken legte, fühlte ich mich wie ein Tierarzt in einem Safaripark, der ein betäubtes Raubtier behandelt – schon beim kleinsten Lebenszeichen auf dem Sprung wegzulaufen. So schnell ich konnte, wickelte ich die halbe Rolle Klebeband um seine Handgelenke, dann rutschte ich nach unten und wickelte die andere Hälfte um seine Fußgelenke. Es war eine Menge Klebeband und ich wickelte es so fest drum, wie ich nur konnte, trotzdem glaubte ich nicht, dass es ihn lange aufhalten würde, wenn er erst aufwachte. Aber es war besser als nichts.
    Ich sah mich um, fand das offene Rasiermesser, nahm es hoch, klappte es zusammen und steckte es in meine Tasche. Ich stand gerade auf, als Candy im Eingang erschien. Sie sah fantastisch aus – die Haare zurückgebunden unter einer kleinen schwarzen Mütze, Jeans, T-Shirt , ein verlotterter alter Mantel.
    »Okay?«, sagte sie und sah Iggy an.
    »Ja – lass uns verschwinden.«
    »Einen Moment noch.«
    Sie kam zu mir, kniete sich neben Iggy und fing an, seine Taschen zu durchsuchen – erst die Gesäßtaschen, dann zerrte sie ihn |236| herum, um an die Vordertaschen zu kommen. Als sie an seinen Beinen herumschob und -zog, stöhnte er wieder. Auch sein Kopf begann sich zu rühren.
    »Jetzt mach«, drängte ich Candy. »Er kommt wieder zu sich   …«
    »Noch einen Moment   …«
    Sie grub verzweifelt in seinen Taschen, ihre Stirn in Falten vor lauter Konzentration. Sein Körper rührte sich, rollte von einer Seite zur andern. Sein Kopf drehte sich. Die Augen flackerten. Sein Mund murmelte   …
    »Uuh   … uh   … uh   …«
    »Candy!«, zischte ich. »Lass es   … Komm jetzt. Was machst du denn?«
    Sie zog den Inhalt seiner Taschen

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