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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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wieder da sein würde. Ich bin nicht sicher, was es war, aber ich glaube, es hatte etwas mit Balance zu tun. Wir veränderten uns beide, jeder auf verschiedene Weise, und keiner konnte wissen, was diese Veränderungen bedeuteten oder was sie uns in Zukunft vielleicht bedeuten mochten. Ich glaube, wir versuchten immer noch rauszufinden, was für ein Gefühl uns das gab – für uns selbst, für den andern, für alles.
    Ich weiß nicht   …
    Es ist schwierig, darüber nachzudenken.
    Und es ging nicht nur darum, dass wir uns veränderten, sondern dass sich die Veränderungen selbst ständig veränderten. Es hatte etwas von einer Wippe: In der einen Minute war ich dies und Candy das und in der nächsten Minute war
sie
dies und
ich
das.
    Oben, unten.
    Unten, oben.
    Verängstigt, ruhig.
    Ruhig, verängstigt.
    Kontrolliert, außer Kontrolle   …
    Es war ziemlich eigenartig. Aber auch seltsam aufregend – als ob wir noch mal von vorn begännen.
     
    Als Candy am Ende der Straße ein schwarzes Taxi anhielt, krachte |244| ich blitzschnell von oben nach unten. Da stand ich, Joe der Held, Joe der Retter, Joe der Mann, und war nicht mal auf die Idee gekommen, ein Taxi herbeizuwinken. Ich hatte nur gedacht   … na ja, eigentlich hatte ich an gar nichts gedacht. Wir mussten uns beeilen, das war alles, was ich wusste, und beeilen hieß – für mich – entweder schnell gehen oder rennen. Die Idee, ein Taxi zu nehmen, kam mir erst gar nicht in den Sinn. Ich meine, wo war der Taxistand? Wo stand die Reihe von Mondeos mit der Aufschrift
Heystone Cars
an der Seite?
    Yep, ich fühlte mich so richtig weltgewandt.
    Und dann, um alles noch schlimmer zu machen, wusste ich nicht, als das Taxi am Straßenrand hielt, wie man die Tür öffnete. Ich stand nur da, fummelte dämlich am Griff rum, riss sinnlos an der Tür   … und plötzlich war ich wieder der staunende Jockel mit hängendem Unterkiefer, der kleine verlorene Junge, ganz benommen und verwirrt, der den Lichtern und dem Lärm entgegenblinzelte   …
     
    Es war zum Heulen, ich weiß. Das Einzige, was jetzt zählte, war, so schnell wie möglich von Iggy wegzukommen. An nichts anderes hätte ich denken sollen. Es war zum Heulen, überhaupt zu
erwägen
, ich könnte mich zum Heulen fühlen. Es war, als würde ich mir vor dem Ende der Welt noch schnell die Haare kämmen – ausgesprochen sinnlos. Aber manchmal kann man es einfach nicht ändern, oder? Man kann es nicht ändern, dass man das empfindet, was man empfindet.
     
    »Steigt ihr jetzt ein oder was?«, sagte der Taxifahrer.
    Abermals zog ich erfolglos an der Tür, dann beugte sich Candy |245| herüber und drückte mit dem Daumen die Sperrtaste auf dem Griff runter. Die Tür schwang auf und wir beiden kletterten hinein und ließen uns nebeneinander nieder.
    »Wohin?«, fragte der Fahrer.
    »Was?«, sagte ich.
    »Wohin?«
    Ich sah Candy an. Sie sah mich an. Und dann passierte etwas Lustiges. Als wir dasaßen, uns anguckten und stumm fragten, wohin wir wollten, spürte ich plötzlich, wie sich die Wippe wieder rührte. Candy bewegte sich nach unten und nahm den Jockel mit, und während sie hinabsanken, wechselte die Balance und hoch stieg Joe der Mann.
    »Liverpool Street Station«, sagte ich dem Fahrer und hätte fast noch hinzugefügt: »Aber gib Gas.«
    Das Taxi fädelte sich in den Verkehrsstrom ein und wir fuhren davon in das tobende Chaos der Nacht.
    Je weiter wir uns vom Haus entfernten, desto besser fühlten wir uns. Nach einer Weile entspannten wir uns fast ein bisschen. Ich glaube, wir wussten beide, dass uns noch eine Menge mehr bevorstand, aber für den Moment reichte es, sich schweigend zurückzulehnen und zuzuschauen, wie die Straßen vorbeizogen, einfach zu atmen, auszuruhen, etwas Wirklichkeit einzusaugen. Eine Weile lang waren wir irgendwo anders gewesen, an einem Ort, an dem gewöhnliche Dinge nicht vorkamen, jetzt war es an der Zeit, dass sie zurückkehrten. Die gewöhnlichen Dinge: andere Menschen, Zeit, Distanz, Vernunft, Hunger, Durst, das Bedürfnis zu pinkeln   …
    Ich schlug die Beine übereinander.
    Ich dachte an dies und das.
    |246| Ich schaute auf die Uhr.
    Candy drehte sich in meine Richtung und flüsterte: »Wie spät ist es?«
    »Halb sieben.«
    Sie nickte. Dann flüsterte sie: »Wohin fahren wir?«
    »Liverpool Street«, flüsterte ich zurück.
    »Wieso?«
    »Was?«
    »Wieso fahren wir zur Liverpool Street?«
    »Wieso flüsterst du?«
    Sie lächelte und flüsterte: »Ich weiß nicht.« Dann

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