Candy
gesagt. »Wie findet ihr es?«
»Was?«, hatte Mum geantwortet.
»Das Cottage. Es gehört uns. Ich habe es gekauft.«
»Du hast
was
?«
»Ich habe es gekauft.«
»Du hast es
gekauft
?«, fragte sie ungläubig. »Wozu um Himmels willen? Was sollen wir mit einem
Cottage
?«
|277| Nachdem Dad die verschiedenen Verwendungsformen erklärt hatte – als Wochenendhaus für die ganze Familie, als Ort, an dem man ungestört arbeiten konnte, oder auch als Rückzugsmöglichkeit, wenn man einmal alles hinter sich lassen wollte –, beruhigte sich Mum langsam wieder und näherte sich nach und nach seiner Einstellung an. Wir alle taten das – stellten uns erholsame Tage in der Sonne vor, Waldabende, prasselnde Kaminfeuer im Winter …
Aber so wurde es nie wirklich. Anfangs fuhren wir fast jedes Wochenende raus. Freitagabends packten wir unsere Taschen, sprangen ins Auto und fuhren auf ein stilles Wochenende nach Suffolk … eine Weile war das ganz schön. Wir hatten unsere erholsamen Tage und stillen Abende – gingen in den Wald, um Holz für den Kamin zu sammeln, oder spazierten an der Flussmündung entlang und beobachteten die Boote in der Abendsonne … dann kamen wir plötzlich alle fast um vor Hunger und gingen zurück zum Cottage, um getoastete Crumpets zu essen und Becher dampfend heißen Kakao zu trinken …
Ja, es war okay.
Einen Sommer verbrachten wir sogar mal eine ganze Woche dort. Ich war damals etwa zwölf, Gina war siebzehn. Ich erinnere mich noch, wie sie diesen Jungen im Dorf traf. Ich wurde richtig sauer, dass sie mich nicht dabeihaben wollte, wenn sie spazieren ging. Schließlich folgte ich ihr in den Wald … und war total überrascht zu sehen, dass sie diesen Jungen küsste. Als ich sie später fragte, wer das gewesen sei, und sie merkte, dass ich ihr nachspioniert hatte, drohte sie mir, mich zu verprügeln. Aber ich sagte ihr, wenn sie das täte, würde ich Mum und Dad sagen, was sie getan hatte, deshalb bekam ich am Ende statt Prügeln fünf Pfund für das Versprechen, den Mund zu halten. Ich nahm das Geld natürlich |278| an, aber seltsamerweise gab ich es nie aus. Ehrlich gesagt liegt der Schein noch immer irgendwo in meinem Zimmer rum, eingestaubt, zerknittert und ausgeblichen, wie eine sinnlose Mahnung …
Wie auch immer, das war vermutlich das letzte Mal, dass wir alle zusammen im Cottage waren. Ich weiß nicht, wieso, aber im Lauf der Jahre wurden die Wochenenden fort von zu Hause immer seltener, bis wir schließlich fast gar nicht mehr nach Orwold fuhren. Und selbst wenn wir uns mal aufrafften, schien jedes Mal irgendwer zu fehlen. Entweder konnte Gina nicht mitkommen oder Mum arbeitete oder Dad war auf einer Konferenz. Und ohne uns alle vier zusammen war es nie ganz dasselbe. Alles wirkte verkehrt – hohl und erzwungen –, als versuchten wir etwas wiederzubeleben, was einmal da gewesen war: Wir bemühten uns, die frühere Freude wiederzufinden, wir strengten uns an, eine schöne Zeit zu haben. Aber das alles existierte nicht mehr. Schließlich merkten wir, glaube ich, alle, dass dieser Versuch nicht nur sinnlos war, sondern auch schmerzhaft.
Also gaben wir auf.
Als Mum und Dad geschieden wurden, war das Cottage für mich schon in der Vergangenheit verblasst. Es war nur noch etwas, wohin wir früher immer gefahren waren. Ein Ort in meinem Gedächtnis. Eine Erinnerung.
Doch jetzt war ich zurück.
Und es war alles wieder wirklich.
Das Dorf, der Wald, die Flussmündung, das Cottage …
Es nahm uns in seine Geborgenheit auf.
|279| Wir sprachen nicht viel auf dem Weg dorthin. Wir waren wohl beide zu müde und vielleicht auch ein bisschen zu angespannt. Ich fand keine bequeme Sitzposition im Zug, mein Körper fühlte sich merkwürdig an, ganz steif und irgendwie rau, als wäre meine Haut aus Sandpapier. Ich war verkrampft, dumpf vor Müdigkeit und hatte schwere, dicke Augen.
Candy ging es nicht viel besser. Sie hatte sich auf der Toilette wieder mit Stoff voll gepumpt, aber diesmal schien es sie nicht zu entspannen. Ständig zappelte sie rum, schniefte, putzte sich die Nase, leckte sich die Lippen, klopfte mit den Fingern auf den Tisch. Rauchte zu viel. Atmete zu schnell, dann zu langsam, dann wieder zu schnell …
Ich raffte das nicht.
Ich
verstand
es einfach nicht.
Aber ich war zu müde, um etwas dagegen zu tun, und Candy war so angespannt, dass ihr sowieso alles egal war. Also litten wir beide still vor uns hin und ertrugen die lange Fahrt in
Weitere Kostenlose Bücher