Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
menschliche Wesen würde sich in diese Ziegen-Gegend wagen? Also konnte der Wagen auch nicht geklaut werden.
Die Herde bewegte sich den Hügel hinunter auf die nächste Kurve zu, und Lily wurde dorthin dirigiert, ob sie wollte oder nicht. Gegen die Masse der Ziegenleiber kam sie definitiv nicht an. Sie schnitt Grimassen, als sie durch einen matschigen Haufen nach dem anderen stapfte, und nahm im Stillen Abschied von ihren teuren Wildlederschuhen.
Die Ziegen dachten auch weiter nicht daran, ihr Platz zu machen. Darum war es Schwerstarbeit, sich zwischen ihnen in der Senkrechten hindurchzubewegen, ohne zu stolpern. Außerdem wurde es immer wärmer. Aber schließlich, als Lily die Biegung erfolgreich umrundet hatte, sah sie, dass eines dieser dreirädrigen Fahrzeuge, die bei den italienischen Bauern so beliebt waren, an der Straßenböschung parkte. Noch mehr Ziegen standen darum herum, aber Lily watete tapfer und merkwürdigerweise nun völlig unerschrocken durch sie hindurch, um zu dem Vehikel zu gelangen, während sie nach dem Fahrer Ausschau hielt.
»Hallo?«, rief sie. »Buon giorno?«
Als Antwort bekam sie nur Ziegenblöken. Erst jetzt entdeckte sie den halb verborgenen Wegweiser nach San Biagio zwischen einer Ansammlung von hohen Laubbäumen auf der anderen Seite des Wegs – und ein vielversprechendes Gebäude gleich dahinter. An jedem anderen Ort der Welt hätte Lily das für einen Traum gehalten, aber in Italien hatte sie sich mittlerweile daran gewöhnt, dass eine Kirche genauso gut hinter einem versteckten Weg auftauchen konnte, der von Ziegen bevölkert war, wie auf einer Piazza grande.
Sie kämpfte sich hinüber zu dem Schild und fand unweit davon ein rostiges Tor, das sie wenig später aufschob. Ein Dutzend Ziegen nutzten sofort die günstige Gelegenheit, sprangen vor ihr hindurch und verteilten sich auf einem langen, überwucherten Pfad, der zu einem etwas entfernt liegenden anderen Tor führte, von dem Lily annahm, dass es sich um den vernachlässigten Hintereingang der Kirche handelte.
Weitere neugierige Ziegen gesellten sich zu ihr, während sie sich einen Weg durch das Gestrüpp bahnte, bis der Pfad sich öffnete und sie vor einer schlichten Holztür mitten in einer riesigen Sandsteinmauer stand. Das war ganz sicher der Hintereingang ins Kircheninnere. Also gab es hier auf jeden Fall einen Priester, der ihr helfen konnte oder wenigstens ein Telefon hatte. Die Ziegen waren jedoch nicht leicht abzuschütteln. Aber sie würde sie schon daran hindern, womöglich das Weihwasser zu schlabbern.
Behutsam versuchte Lily, ob sich die Tür überhaupt öffnen ließ, was wundersamerweise klappte. Also schob sie die Tür einen schmalen Spalt breit auf und schlüpfte blitzschnell hindurch, sodass für keines der Tiere der Hauch einer Chance bestand, in die Kirche zu gelangen.
Und es war, als würde sie in einen Traum eintreten.
San Biagio war schon von außen durch seine asketische Schlichtheit beeindruckend, obwohl Lily nur ein bisschen von der ganzen Anlage überhaupt gesehen hatte.
Innen jedoch war die Kirche alles andere als schlicht. Fresken mit Engeln und Heiligen in einer Palette von Blassgelb, Blau und Rosé schmückten die gewölbte Decke und die massiven Mauern, die mit vergoldetem Stuck verziert waren.
Licht strömte von oben durch die Klarglasfenster in der gewaltigen zentralen Kuppel herein und erhellte eine Stelle vor dem Altar, der selbst in ein sanfteres Licht durch ein Buntglasrelief gehüllt wurde, das die Jungfrau Maria darstellte.
Lily hob die Hand über die Augen und putzte sich dann notdürftig die Schuhe an der niedrigen Eingangsstufe ab – diese elenden Ziegen –, bevor sie begann, auf den herrlichen Altar mit den massiven Statuen zuzugehen, die in die Mauer eingemeißelt waren, und auf das Blumengesteck, das größer war als sie selbst.
Eine Gestalt erhob sich in der vordersten Bank, als sie sich näherte.
»Lily?«
Wieder setzte ihr Herz einen altmodischen Takt lang aus. Das Licht, das von hinten auf ihn herabfiel, raubte ihm seine Gesichtszüge, aber sie hätte ihn überall erkannt. Das lag an seiner Silhouette, nahm sie an. An seinen Schultern, seinen Hüften und an seinem Kopf, der leicht zur Seite geneigt war.
Es war Daniel. Er sah aus wie ein Engel.
45
» Wie viel hat uns das gebracht? Zehn Minuten extra?«, schätzte Violetta, als sie hörte, dass die Ladenklingel der Pasticceria auf den Boden krachte.
»Ja, und hundert Euro extra«, ergänzte Luciana.
»Los,
Weitere Kostenlose Bücher