Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
gib mir dein Tuch, damit ich der Witwe Ciacci das Zeichen geben kann, ja?«, befahl Violetta und öffnete das Fenster. »Sie hat die Witwe Mazzetti bei sich sitzen mit der Stoppuhr. Aber eigentlich ist die Witwe Del Grasso unsere größte Sorge. Offenbar hat sie eine Ziegenphobie.«
»Und wie will sie dann den alten Capriani von seiner Herde weglocken?«
»Sie hat Grappa dabei und, noch wichtiger, etwas von der Crostata di more, die die Witwe Benedicti gebacken hat. Und falls das nicht reicht, Capriani ist so schwach, dass ein kräftiger Schubs genügt, um ihn umzuwerfen. Was ist mit dir, kommst du mit?«
Luciana schüttelte den Kopf und deutete auf ihren bandagierten Fuß. »Dieses Mal nicht, Violetta. Du wirst ohne mich klarkommen müssen.«
46
» Lily«, sagte Daniel wieder, während das goldene Licht inmitten der Kirche hinter ihm aufleuchtete.
Lily konnte nicht klar denken. Sie war nicht vorbereitet. Sie drehte sich um und steuerte auf den Haupteingang der Kirche zu, wo sie mit dem schweren Portal kämpfte, weil sie zuerst drückte, statt zu ziehen, bis sie schließlich einen Türflügel ein bisschen aufbekam und prompt eine Ziege hereindrängelte, ein Lamm. Dasselbe, das von seiner Mutter getrennt worden war? Es hoppelte direkt in Lily hinein, panisch wie ein Welpe oder ein Fohlen, und stieß sie damit von der Tür weg, die natürlich prompt wieder zuknallte.
Das Lamm lief weiter, auf Daniel zu, der den Mittelgang entlangkam.
»Määäh«, machte es, dann blieb es keuchend stehen und blickte von einem zum anderen.
Alles, was Lily jetzt noch fehlte war, dass der Heilige Franz von Assisi erschien, und sie würde wissen, dass das irgendein großer himmlischer Scherz war und nicht das wahre Leben.
»Du hast da draußen nicht zufällig Franz von Assisi getroffen, oder?«, fragte Daniel.
Lily starrte ihn sprachlos an.
Und dann lachte sie.
Früher war es sehr oft vorgekommen, dass einer von ihnen etwas aussprach, was der andere gerade dachte, obwohl Lily sich nicht mehr an das letzte Mal erinnern konnte, das war zu lange her. Wie seltsam, dass es ausgerechnet jetzt passierte.
Ihr Lachen hallte in der leeren Kirche wider und klang viel lauter, als es tatsächlich war.
»Was machst du hier?«, fragte sie.
»Ich war unterwegs zu einem Neukunden in Pienza, bin aber in der Ziegenherde stecken geblieben. Und du?«
»Ja. Auch die Ziegen.«
Er sah auf das kleine Lamm, das in der Kirchenbank herumlief, neben der er stand, dann wieder zu ihr. »Es tut mir sehr leid wegen gestern, Lily.«
War es erst gestern gewesen? Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor.
»Mir tut alles sehr leid«, fuhr er fort. »Ich habe dich gesucht, aber ich konnte dich nicht finden. Ich war in der Pasticceria, aber …«
Lily, die gespenstisch ruhig war, setzte sich in die nächste Kirchenbank. Es war so kühl in der Kirche, so still.
Daniel setzte sich in die Bank schräg gegenüber auf der anderen Seite des Mittelgangs.
Eine Weile lang hörte man nichts außer dem Geräusch der kleinen Ziege, die nun interessiert vor dem Altar herumstöberte.
»Nachträglich alles Gute zum Geburtstag«, sagte Lily.
»Danke«, sagte Daniel. »Sechsundvierzig.«
»Was ist passiert, Daniel?«, fragte Lily. »Ich muss es wissen.«
»Lily, ich glaube nicht …«
»Bitte, ich muss es wirklich wissen. Du musst ehrlich zu mir sein. Wenn du das nicht kannst, macht es keinen Sinn, miteinander zu reden.«
Sie hatte recht, natürlich hatte sie recht, aber das Problem mit der Wahrheit war, egal, wie er sie ausdrückte, sie würde wehtun.
Er könnte es sanft angehen und sagen, dass die Details keine Rolle spielten, dass es nichts zu bedeuten hatte, dass er ihr nicht noch mehr Kummer zufügen wollte, aber er bezweifelte, dass das funktionierte.
Er wollte reinen Tisch machen, und es gab keine einfache, keine nette, keine hübsche Art, das zu tun.
»Ich war wie üblich geschäftlich hier«, begann er mit ausdrucksloser Stimme. »Ich hatte ein Geschäftstreffen, das nicht besonders gut lief, also ging ich danach in eine Bar, wo ich Eugenia kennengelernt habe.«
»Wann war das?«
Sein Kopf war gesenkt, seine Hände im Schoß verschränkt, und sie sah, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
»Ich glaube, du weißt, wann das war«, antwortete er sanft. »Es ist das Wann, das alles noch tausendmal schlimmer macht.«
Eine Träne rann einsam über ihre Wange. Das Wann machte es tatsächlich noch tausendmal schlimmer.
»Wie konntest du nur? Wenn du mich liebst,
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