Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
müde und möchte jetzt einfach in mein Hotel.«
Alberto hielt die Hände hoch.
»Okay, okay«, sagte er, aber sein Lächeln war immer noch freundlich. »Ich verstehe. Kein Problem. Trotzdem willkommen in Montevedova, no ?«
»Sì.« Sie lächelte. »Danke.«
» Ciao, ciao «, sagte er, klappte seinen Kragen hoch und verschwand.
Als Lily die eingerissene und zerfetzte Markise des Hotels Adesso erreichte, hatte sie eine Muskelzerrung in der Wade und eine verrenkte Schulter, sodass sie entschlossen war, welchen kleinen, trockenen Komfort eine Herberge ohne Sterne auch immer zu bieten hatte, diesen dankbar zu akzeptieren.
Sie blieb unter der Markise stehen, triefend, und massierte ihre Handfläche, da der Koffergriff die Blutzirkulation abgeschnürt hatte, als ihr ein fauliger Gestank direkt ins Gesicht schlug.
Im Hotel flogen plötzlich alle Türen auf, und eine Woge der einvernehmlichen Abscheu und Empörung brandete durch das dreistöckige Gebäude und endete in einem spitzen Schrei, als ein Dienstmädchen in Uniform durch den Gang mit zugehaltener Nase herauslief.
»Was ist los?«, fragte Lily, während das Dienstmädchen nach frischer Luft schnappte und sich den Magen rieb mit einer Grimasse.
»Die Abwasserrohre«, antwortete sie. »Es gibt ein Riesenproblem.«
»Mit allen Rohren?«
»Sie laufen über. Im Bad.«
»Aber ich soll hier ein Zimmer bekommen!«
»Heute wohl nicht«, entgegnete das Dienstmädchen. »Versuchen Sie es im Hotel Prato. Es hat vier Sterne.«
Die Lobby am Ende des Gangs füllte sich mit wütenden Gästen, die Auskunft verlangten von der einsamen, gestressten Rezeptionistin, und Lilys Traum von einer Zuflucht ohne Sterne wurde fortgespült, was allem anderen offenbar nicht gelang.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte sie. »Das Hotel Prato ist wegen Renovierung geschlossen. Ich nehme an, Sie wissen keine andere Möglichkeit?«
»Das Hotel Prato ist geschlossen? Sind Sie …« Aber die restliche Antwort des Dienstmädchens ging in einem allmächtigen Schrei unter, der von einer kleinen grauhaarigen Frau kam, die in der Lobby erschien und weiter lauthals lamentierte. »Scusi«, sagte das Dienstmädchen, dann presste sie ein Taschentuch vors Gesicht und eilte zurück ins Haus.
Die Regentropfen prallten wütend von den Pflastersteinen ab vor Lilys Füßen, während sie erneut den Corso in Betracht zog. Der Gestank wurde nicht besser, die Lobby nicht leerer. Sie wagte sich wieder hinaus auf die Straße und stemmte sich gegen den Regen, während sie weiter bergauf stapfte, aber sie war noch keine zwölf Schritte gegangen, als sie ein kleines, mit Efeu bewachsenes Haus auf der anderen Straßenseite sah mit einem abgedunkelten Schaufenster, in dem ein ZIMMER - FREI -Schild hing, das in zittrigen Buchstaben geschrieben war.
Ohne stehen zu bleiben und darüber zuerst nachzudenken, stürzte Lily durch die Ladentür, während ihr Koffer, den sie hinter sich herschleifte, Schlagseite hatte und ihre Handtasche ihr aus den Fingern glitt und über den Boden rutschte, wo sich eine große, unschicklich aussehende Pfütze unter ihr bildete.
Der Raum war gemütlich dunkel, aber Lily brauchte nicht viel zu sehen, um zu erkennen, dass dies kein normales Haus war. Es war eine Art Laden, dachte sie, während ihre Augen sich an das Dämmerlicht anpassten. Eine Bäckerei. Sie war winzig, kaum größer als Lilys geliebter Kleiderschrank zu Hause, roch aber unendlich viel besser. An der Wand vor ihr war eine Marmortheke in L-Form, die an eine kleine Küche erinnerte. Darauf standen ungefähr ein Dutzend große bauchige Glasschüsseln, manche davon auf kleinen Sockeln, sodass sie sich auf unterschiedlicher Höhe befanden, in einer Farbpalette aus Dunkelrot und Blau und Grün. Die Art, wie das spärliche Licht in der staubigen Luft flimmerte – reflektiert von einem Kronleuchter, ausgerechnet, dann die Schüsseln streifte und im Raum ein Schimmern erzeugte–, weckte in Lily das Gefühl, sich mitten in einem Buntglasfenster zu befinden.
Ein Duft, den sie nicht richtig einordnen konnte, schien aus den Wänden zu sickern. Zuerst dachte sie, es wäre Zimt, dann Vanille, dann irgendeine Blüte wie Lavendel. Der Duft war seltsam tröstend, als würde man in einen mit Satin gefütterten Mantel gehüllt. Tatsächlich konnte sie den strömenden Regen nicht mehr hören, und durch die Wärme im Raum und das Aroma in der Luft lockerten sich ihre Gelenke, erwärmte sich ihr Blut, begann ihre Farbe
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