Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
zerknitterten Stadtplan auffaltete. Es schien, als müsste sie noch einmal so weit gehen, um zu ihrem Hotel zu gelangen, und in dem Moment, in dem ihr das klar wurde, begann es sogar noch stärker zu regnen. Wasser floss von beiden Seiten auf den Corso in der Mitte und rauschte den Berg hinunter wie ein Fluss.
Ein hochaufgeschossener schwarzer Hund leistete ihr unter dem Vordach Gesellschaft, wo er sich schüttelte und Lily von oben bis unten vollspritzte, bevor er ihr einen verschämten Blick zuwarf und davontrabte. Dass Frauen ihres Alters davon träumten, Orte wie diesen zu besuchen für ausgedehnte Mahlzeiten am Mittag, goldene Aussichten und den Kitzel von heißem Sex mit jungen, gut gebauten Männern, kam ihr grotesk vor.
Plötzlich jedoch, über das ununterbrochene Plitschplatsch des Regens hinweg, wurde ihr bewusst, dass irgendwo in der Nähe eine Violine spielte. Es war ein ruhiges Stück, das nicht mit dem harten Prasseln Schritt hielt, und Lily spitzte die Ohren. Der laute Platzregen lieferte sogar eine Art rhythmischen Paukenschlag, sodass der Gesamteindruck recht orchestral war. Die Violine schwoll an zu einem Crescendo, und Lily schloss die Augen. Die ausgedehnten Mahlzeiten und goldenen Aussichten schienen plötzlich ein bisschen wahrscheinlicher. Aber dieser kurze Flirt mit der Romantik der Toskana wurde gleich im nächsten Augenblick zerstört durch das Geräusch eines schreienden Babys.
Lily hatte irgendwo aufgeschnappt, dass Mütter einen besonderen Radar besaßen, mit dem sie ihr Kind aus einem Meer von brüllenden Babys heraushören konnten, weil ihre Hormone einen Freudensprung machten. Natürlich hatte Lily keine Erfahrung damit, aber dafür wusste sie hundertprozentig, dass Frauen, die keine Mutter sein konnten, auch sensibel auf Babygeschrei reagierten – mit dem Unterschied, dass sie jedes einzelne Kind heraushörten. Und ihre Hormone machten keinen Freudensprung, sondern rannten umher wie Hühner, denen der Kopf abgeschlagen worden war.
So wie ein bestimmter Song von den Eagles Lily automatisch nach Fire Island versetzte, wo sie mit Rose Bier getrunken hatte in einem schwülen August, als sie Teenager waren, und sie sogar den Sonnenbrand in ihrem Nacken und den Sand zwischen ihren Zehen wieder spürte, so konnte Babygeschrei sie in die Abgründe ihrer Kinderlosigkeit stürzen.
Sie schien es direkt zu spüren in ihrem leeren Bauch, wo irgendein nutzloses Zubehör sich zusammenzog und an ihren Eingeweiden riss. Sie spürte es, während sie dastand und der Violinenmusik lauschte, die leichtfüßig zu dem Trommelschlag der dicken Regentropfen tanzte, die auf den Corso platschten.
Dieses spezielle Babygeschrei drang unter einem riesigen roten Schirm hervor, der sich mitten auf der steilen Gasse nach oben bewegte in Richtung Veranda. Gischt sprühte unter den Rädern eines uralten Kinderwagens, und während er immer näher kam, sah Lily, dass der Schirm an einem der Griffe befestigt war, damit der noch ältere Mann mit beiden Händen schieben konnte. Und er brauchte auch beide. Montevedova und Kinderwagen waren keine ideale Kombination bei jedem Wetter.
Lily versuchte mit Willenskraft, den alten Mann dazu zu bringen, dass er den Kinderwagen weiterschob in eine der steilen Gassen links und rechts von ihr, aber das tat er nicht, sondern näherte sich stattdessen ihrem Refugium und mühte sich ohne Erfolg, den Kinderwagen über den Absatz der Veranda ins Trockene zu hieven. Sie wusste, sie sollte hingehen und ihm helfen, während er sich abrackerte und schob und zog und etwas ausstieß, das für sie, unabhängig von der Sprache, wie ein Schwall von Flüchen klang, aber sie war wie erstarrt.
Das Babygeschrei wurde lauter, und der alte Mann hörte auf zu fluchen und beugte sich stattdessen über den Kinderwagen, während er tröstende Laute von sich gab.
Lily wandte sich ab, und ihre trockenen Augen juckten, aber sie drehte sich wieder um, als irgendwo in der Nähe eine Tür zuknallte. Ein junger Mann, wahrscheinlich nicht älter als zwanzig, erschien im Eingang eines Ladens schräg gegenüber. Er musterte Lily mit einem kurzen, anerkennenden Blick, rümpfte die Nase in den Regen, zog die Schultern hoch und rannte über die Straße.
Er begrüßte den alten Mann mit einem Wortschwall, und gemeinsam hoben sie den Kinderwagen ins Trockene. Der Alte schüttelte sich, während der junge Mann in den Kinderwagen griff und das Baby herausnahm.
In diesem Moment kam Lily der Gedanke, dass das Baby,
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