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Capitol

Capitol

Titel: Capitol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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verfolgen.
    Es dauerte nur eine Stunde bis Grey wieder am Apparat war.
    »Nun?« fragte Herman erwartungsvoll.
    »Sie haben ja gesagt.«
    »Dann verbinden Sie mich«, verlangte Herman.
    »Ich habe es schon versucht. Es ist unmöglich.«
    »Wieso ist es unmöglich? Er wird mit mir sprechen! Das weiß ich genau!«
    »Er steht unter Somec, Herman. Er nahm es ein paar Tage nach der Zerstörung – nach dem Spiel. Er wird erst in drei Jahren aufwachen.«
    Und wimmernd trennte Herman die Verbindung wieder.
     
    *
     
    Die Therapie dauerte fünf Jahre – fünf Jahre ohne Somec –, bis Herman endlich zugab, daß seine Angst vor Doon unnormal war, und daß Doon in Wirklichkeit niemals angedeutet hatte, er beabsichtige, das Reich zu zerstören. Natürlich hatte Herman das von Anfang an gesagt, sobald er merkte, daß die Ärzte das hören wollten. Aber die Maschinen erzwangen die Wahrheit, und erst als die Maschinen den Ärzten bestätigten, daß Herman nicht log, wenn er solche Dinge sagte, erklärten sie ihn für geheilt, und Greys Leute (Grey stand zu der Zeit unter Somec) statteten Herman mit fünfzig Prozent seiner Vollmacht aus. Herman überschrieb sie sofort wieder, um die Jahre des Somec-Schlafs nachzuholen, die man ihm vorenthalten hatte, während die Ärzte ihn von seinen lächerlichen Wahnvorstellungen kurierten.
    Während fast eines ganzen Jahrhunderts fielen Doons und Hermans Wachperioden auf verschiedene Termine. Zuerst hatte Herman gar nicht versucht, sich mit Doon in Verbindung zu setzen – die Kur hatte, zumindest zeitweise, jede Neugier hinsichtlich seines Enkels erstickt. Dann hatte er gelernt, ohne Furcht und Haß auf jene seltsame Periode zurückzublicken, die sein Leben so einschneidend verändert hatte: und er studierte die Aufzeichnungen über das berühmte Spiel. Viele Bücher waren darüber geschrieben worden – Der Aufstieg und Niedergang Italiens unter und nach Nuber umfaßte mehr als zweitausend Sichtschirmablesungen. Und während er gelassen das Gebäude studierte, das er errichtet hatte, und die Gründe für seinen Zusammenbruch zu erkennen suchte, wuchs in ihm das Verlangen, seinen Widersacher und Enkel zu sehen. Nicht wiederzusehen, denn die Ärzte hatten Herman völlig davon überzeugt, daß er Doon nach dem Kampf überhaupt nicht mehr getroffen hatte.
    Aber als Herman am Schlafraum den Zeitplan für Doons Erwachen einsehen wollte, wurde ihm bedeutet, daß Doons Erwachen unter Staatssicherheit fiele. Das konnte nur eins bedeuten – Doon schlief länger als das absolute Maximum von zehn Jahren, und seine Wachperiode war kürzer als das absolute Minimum von zwei Monaten. Es bedeutete, daß er zu einer mächtigen Gruppe gehörte, die selbst den meisten Regierungsbeamten verschlossen blieb. Und es verstärkte Hermans Wunsch, ihn zu sehen.
    Erst als Herman das subjektive Alter von siebzig Jahren erreicht hatte, war ihm endlich Erfolg beschieden. Jahrhunderte Reichsgeschichte waren vorübergezogen, und Herman hatte sie aufmerksam verfolgt. Er las alles über Geschichte, was er in seinen Computer bekam – die des Reiches und andere. Er wußte nicht genau, was er suchte; aber er war sicher, daß er es noch nicht gefunden hatte. Und eines Tages, als er sich beim Schlafraum erkundigte, erfuhr er, daß Abner Doon wach war. Sie wollten ihm nicht sagen, wie lange Doon schon wach war, oder wann er wieder schlafen würde, aber die Auskunft genügte ihm schon. Herman übermittelte Doon eine Botschaft, und, zu seiner Überraschung, ließ dieser ihm ausrichten, daß er zu einem Treffen bereit sei. Er wollte ihn sogar persönlich aufsuchen.
    Herman ärgerte sich stundenlang, denn er wußte nicht mehr recht, weshalb er Doon überhaupt sehen wollte. Verwandtschaftliche Gefühle existierten nicht, befand Herman. Die Familie bedeutete ihm nichts. Er war der Wunsch eines großen Spielers, den Mann zu treffen, der ihn geschlagen hatte, das war alles. Napoleons Wunsch, kurz vor seinem Tode mit Wellington zu sprechen. Hitlers verrücktes Verlangen, mit Roosevelt zu reden. Cäsars leidenschaftlicher Wunsch, sich noch im Tode, während sein Blut verströmte, mit Brutus zu unterhalten.
    Was sind die Gedanken des Mannes, der einen vernichtet hat? war die Frage, die seit Jahren an Herman genagt hatte, und er war gespannt, ob er jetzt die Antwort darauf finden würde. Dies war nämlich seine einzige Chance. Hermans fünf Jahre währende Therapie war ihn teuer zu stehen gekommen, und er sah – wie wenige andere – seine

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