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Capitol

Capitol

Titel: Capitol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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Sterblichkeit schon hinter der nächsten Ecke lauern. Somec schob den Tod nur auf, es schaffte ihn nicht ab.
    »Großvater«, sagte eine leise Stimme, und Herman wachte plötzlich auf. Wann war er eingeschlafen? Egal. Vor ihm stand der kleine, mittlerweile recht behäbige Mann, den er als seinen Enkel erkannte. Trotzdem war er schockiert, als er sah, wie jung Doon immer noch aussah. Er sah kaum älter aus als vor vielen Jahren, als zu der Zeit, da sie so schrecklich aneinandergeraten waren.
    »Mein legendärer Gegner«, sagte Herman, und streckte die Hand aus.
    Doon ergriff die angebotene Hand, aber anstatt sie zu drücken, spreizte er die Finger des alten Mannes über seine eigene Hand. »Selbst Somec fordert seinen Tribut, nicht wahr?« fragte er, und in seinen traurigen Augen erkannte Herman, daß nicht nur er allein den Tod begriff, den Somec nicht abwenden konnte, wenn es auch ewiges Leben versprach.
    »Warum wolltest du mit mir sprechen?«
    Und schwer und langsam und unerklärlich rollten die Tränen aus Hermans alternden Augen. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich wollte wohl nur wissen, wie es dir geht.«
    »Mir geht es ausgezeichnet«, sagte Doon. »Mein Ministerium hat während der letzten paar Jahrhunderte Dutzende von Welten kolonisiert. Der Feind ist auf dem Rückzug – wir werden ihn an Bevölkerungszahl übertreffen, wenn er sich nicht große Mühe gibt. Das Reich ist im Wachsen begriffen.«
    »Ich bin sehr froh. Froh, daß das Reich wächst. Ein Reich aufzubauen, ist eine schöne Sache.« Leise fügte er hinzu: »Ich habe selber früher einmal ein Reich aufgebaut.«
    »Ich weiß«, sagte Doon. »Ich habe es zerstört.«
    »Oh, ja, ja«, sagte Herman, »deshalb wollte ich mit dir sprechen.«
    Doon nickte und wartete auf die Frage.
    »Ich habe darüber nachgedacht, ich wollte wissen – warum du mich ausgesucht hast. Warum du dich überhaupt dazu entschlossest. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Weißt du, mein Gedächtnis ist nicht mehr das, was es einmal war.«
    Doon lächelte und hielt die Hand des alten Mannes. »Das geht uns allen so, Großvater. Ich habe dich ausgesucht, weil du der Größte warst. Du warst der höchste Berg, den ich ersteigen konnte. Deswegen habe ich dich ausgesucht.«
    »Aber warum tatest du es – warum zerstörtest du alles? Warum bautest du kein eigenes Reich auf, um mir Konkurrenz zu machen?« Genau das war die Frage. Ah, ja, das ist die Frage, befand Herman. Es blieben allerdings leise Zweifel. Hatte er sich nicht schon einmal mit Doon unterhalten, und hatte Doon ihm nicht geantwortet? Nein. Nie.
    Doons Blick ging ins Leere. »Weißt du die Antwort nicht?«
    »Oh«, lachte Herman lachend, »du mußt wissen, daß ich einmal ganz verrückt war und glaubte, du wolltest das Reich zerstören. Man hat mich davon geheilt.«
    Doon nickte und sah ganz traurig aus.
    »Aber jetzt geht es mir viel besser, und ich will es wissen. Ich will es nur wissen.«
    »Ich zerstörte – griff dein Reich an, Großvater, weil es zu schön war, zu Ende gebaut zu werden. Wenn du den Bau vollendet und das Spiel gewonnen hättest, wäre das Spiel aus gewesen, und was wäre dann geschehen? Man hätte sich nicht sehr lange daran erinnert. Jetzt aber – wird man sich bis in alle Ewigkeit daran erinnern.«
    »Komisch, nicht wahr?« sagte Herman, und hatte den Faden verloren, bevor Doon ausgeredet hatte, »daß der größte Erbauer und der größte Zerstörer beide aus derselben – Großvater und Enkel sein sollten. Komisch, nicht wahr?«
    »Es bleibt eben alles in der Familie, nicht wahr?« fragte Doon lächelnd.
    »Ich bin stolz auf dich, Doon«, sagte Herman, und diesmal meinte er es auch. »Ich bin froh, daß derjenige, der stark genug war, mich zu schlagen, Blut von meinem Blut war. Fleisch von meinem –«
    »Fleisch«, unterbrach ihn Doon. »Du bist also doch religiös.«
    »Ich erinnere mich nicht mehr«, sagte Herman. »Irgend etwas ist mit meinem Gedächtnis nicht in Ordnung, Abner Doon, und ich weiß nicht mehr alles. War ich religiös? Oder war es jemand anders?«
    In Doons Augen lag tiefer Kummer, und er streckte die Arme nach dem alten Mann aus, der auf einem weichen Stuhl saß. Doon kniete sich hin und umarmte ihn. »Es tut mir so leid«, sagte er. »Ich wußte nicht, was es dich kosten würde. Wirklich nicht.«
    Herman lachte nur. »Oh, in jener Wachperiode hatte ich keine Wetten laufen. Es hat mich keinen Cent gekostet.«
    Doon hielt ihn immer noch fest und sagte wieder: »Es

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