Capitol
Jäger vor dem Herrn«, sagte Doon. Herman fuhr herum und sah Doon in seinem Wohnzimmer stehen.
»Wie bist du denn reingekommen?« stotterte Herman.
»Ich habe Beziehungen«, sagte Doon lächelnd. »Ich wußte, daß du mich nie einlassen würdest, und ich mußte dich sehen.«
»Du hast mich gesehen«, sagte Herman und wandte sich ab.
»Es ging schneller, als ich gedacht hätte«, sagte Doon.
»Wie schön, daß dich noch etwas überraschen kann.«
Doon hätte noch mehr sagen können, aber in diesem Moment brach Hermans Selbstkontrolle zusammen. Heute war es für ihn einfach zuviel gewesen. Er weinte nicht, aber er klammerte sich so an der Konsole fest, als fürchtete er, wenn er losließe, durch die Zentrifugalkraft des Planeten Capitol in den Raum hinausgeschleudert zu werden.
Auf Doons anonymen Anruf hin erschienen Grey und zwei Ärzte, und die Ärzte lösten Hermans Finger von der Konsole und steckten ihn ins Bett. Ein Beruhigungsmittel und ein paar Anweisungen für Grey, und die Ärzte gingen wieder. Es war kein starkes Mittel – der Tag hatte ihn einfach zu sehr mitgenommen, weiter nichts. Wenn er aufwachte, würde er sich sehr viel besser fühlen.
*
Herman fühlte sich sehr viel besser, als er aufwachte. Sein Schlaf war traumlos gewesen – die Beruhigungsmittel hatten gut gewirkt. Das künstliche Sonnenlicht strömte durch die teuren künstlichen Fenster, durch die man einen Ausblick auf die Landschaft vor Florenz hatte, obwohl sich auf der anderen Seite der Wand natürlich nichts anderes befand als eine weitere Wohnung. Herman schaute ins Licht und überlegte, ob die Illusion wohl gelungen war. Er war auf Capitol geboren und hatte keine Ahnung, ob der Sonnenschein wirklich so und nicht anders durch irgendwelche Fenster einfiel.
Im gleißenden Licht saß Abner Doon auf einem Stuhl und schlief. Sein Anblick ließ eine Flut von Gefühlen in Herman aufsteigen – aber er blieb beherrscht, und die Nachwirkung der Drogen machte ihn auf eigenartige Weise den Dingen gegenüber teilnahmslos. Er beobachtete das Gesicht seines schlafenden Enkels und war erstaunt, daß sich hinter diesen Zügen so viel Haß verbergen konnte.
Doon wachte auf. Sofort schaute er zu seinem Großvater hinüber, sah, daß auch dieser wach war und lächelte freundlich. Aber er sagte nichts. Er stand nur auf und schob seinen Stuhl näher an Hermans Bett. Herman beobachtete ihn schweigend und war gespannt, was geschehen würde. Aber die Droge wiederholte ständig »es interessiert mich nicht, was geschieht«, und es interessierte Herman auch nicht, was geschehen würde.
»Bist du jetzt zufrieden?« fragte er leise, und Doon lächelte nur noch breiter.
»Du bist noch so jung«, sagte Doon, Und dann, so schnell, daß Herman keine Zeit hatte (und die Droge hinderte ihn noch zusätzlich), ihn abzuwehren, streckte der Jüngere die Hand aus und berührte leicht Hermans Stirn. Die Hand war trocken, und sie zeichnete die schwachen Falten nach, die begonnen hatten, die Haut zu furchen. »Du bist so jung.«
Wirklich? Herman überlegte, was er selten tat, wie alt er in wirklicher Zeit war. Wann hatte er zum erstenmal Somec genommen – vor siebzig Jahren? Bei seinem Durchschnittssatz von eins aus vier bedeutete das, daß seit seinem ersten Gebrauch der Schlafdroge, die ewiges Leben verlieh, nur siebzehn Jahre subjektiver Zeit vergangen waren. Und alle diese Jahre hatte er darauf verwendet, Italien aufzubauen. Und doch.
Und doch waren diese siebzehn Jahre nicht einmal die Hälfte der Zeit, die er gelebt hatte. Subjektiv war er noch keine vierzig. Subjektiv könnte er noch einmal von vorn anfangen. Subjektiv hatte er noch mehr als genug Zeit, ein Reich zu gründen, das nicht einmal Doon zerstören konnte.
»Aber das kann ich doch nicht, oder?« fragte Herman und wußte dabei nicht, daß seine Frage eigentlich nur seine Gedanken fortsetzte.
Aber Doon verstand ihn. »Ich kenne alles, was du vom Aufbauen verstehst, Großvater«, sagte er. »Aber du wirst nie begreifen, was ich vom Zerstören verstehe.«
Herman lächelte matt, ein anderes Lächeln stand ihm unter der Einwirkung der Droge nicht zur Verfügung. »Dieses Wissensgebiet habe ich ziemlich vernachlässigt.«
»Und doch ist es das einzige, das ewige Ergebnisse zeitigt. Bau auf, so gut du kannst, und irgendwann wird deine schöne Schöpfung, Großvater, ob mit oder ohne meine Hilfe, irgendwann wird sie untergehen. Zerstöre aber gründlich, zerstöre wirksam, und das in Trümmer
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