Cappuccino fatale
Feuer holt.
Dass eine Agentur schlichtweg einen Kundentermin verpennt, habe ich noch nie
erlebt. Und was Marta dazu dem Kunden erklärt, würde ich auch gerne wissen.
Als ich vor das Flughafengebäude trete, bietet sich mir ein Chaos,
wie ich es noch nicht gesehen habe: Es ist drückend heiß, die Luft steht
geradezu im Smog. In vier bis fünf Reihen kriechen Heerscharen kleiner,
verbeulter Autos auf einer Straße, die ursprünglich für zwei Spuren gedacht war,
im Schritttempo voran und kommentieren jeden erkämpften Meter mit einem
fröhlich jubelnden Hupkonzert.
Ich winke nach einem Taxi, steige in einen alten, muffigen Fiat und
bitte den Fahrer, mich ins Stadtzentrum zu fahren. Dort will ich mich ein wenig
umschauen, während ich auf weitere Anweisungen von Maria warte. Ohne zu
blinken, gibt mein Fahrer Gas und reiht sich in das Rudel der Autos ein. Wir
kommen in dem Getümmel überraschend gut voran, denn trotz allem Chaos fließt
der Verkehr. Immer wieder brüllen die Fahrer aus ihren offenen Autofenstern und
streiten um die Vorfahrt, ein Auto hinter uns schrammt so dicht an uns vorbei,
dass die Stoßstange knirscht. Mein Taxifahrer beschimpft den Drängler aufs
Heftigste durchs offene Beifahrerfenster, aber keiner der beiden sieht einen
Grund anzuhalten, um den Schaden näher zu begutachten.
Nach einer Dreiviertelstunde komme ich durchgeschüttelt und fix und
fertig vor dem Hauptbahnhof von Neapel an. Ich bezahle und marschiere, mit
meiner Handtasche und dem Pappenkoffer für die Präsentation beladen, in
Richtung Hafen.
Nur wenige Meter weiter finde ich mich in einer düsteren Gasse auf
einer Art Wochenmarkt wieder, der mir fast den Atem verschlägt: So weit das
Auge reicht, haben Händler ihre Waren in Kisten treppenartig von den Hauswänden
bis zur Straßenmitte aufgebaut. Dazwischen bleibt eigentlich kaum Platz, um
hindurchzukommen, und dennoch drängeln sich aus beiden Richtungen motorini mit einer Geschwindigkeit durch die Gasse, dass
ich mit meinem Gepäck gerade noch zur Seite springen kann. Die Auspuffe der
Motorroller sind auf der gleichen Höhe wie die jeweils letzten Kisten der
Marktauslage, sodass die Abgase bequem über Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse
hochwabern können, um sich dann an den Hauswänden und in der oben aus den
Fenstern aufgehängten Wäsche zu verflüchtigen.
Ich lasse mich treiben wie Alice im Wunderland und bekomme den Mund
nicht mehr zu. Hinter einem Stand sitzt eine überaus beleibte Matrone im
Hausfrauenkittel und nimmt bedächtig Fische aus, deren Eingeweide sie einigen
unter den Marktkisten wartenden wilden Katzen zuwirft. Ein Stück weiter hängen
mehrere bereits zerlegte Hasen in der prallen Sonne und warten auf mutige
Käufer mit resistenten Mägen.
An einer vollgemüllten Straßenecke biege ich nach rechts ab, um den
Markt zu verlassen, und komme auf eine kleine überraschend romantische, sonnige
Piazza, gesäumt von dreistöckigen, urigen Wohnhäusern mit netten kleinen
Schmuck- und Antiquitätengeschäften. Hier setze ich mich an einen Tisch vor
einer verschlafenen Bar und bestelle einen Espresso. Ich bekomme tatsächlich
meinen ersten echten Napolone-Espresso vorgesetzt.
Ach ja, Napolone! Himmel, ich hätte fast vergessen, weshalb ich hier
bin. Neugierig nippe ich an dem Tässchen und gurgele, wie ich es bei Sommeliers
gesehen habe. Napolone schmeckt kräftiger als andere Espressi, die ich kenne.
Irgendwie rauer. Wie konnten wir eigentlich eine Kaffeepräsentation vorbereiten,
ohne das Gebräu jemals vorher getrunken zu haben? Wie peinlich!
Um mein Versäumnis wettzumachen, bestelle ich mir noch einen caffè
und beobachte das Treiben auf der Piazza. Zwei Carabinieri in ihren schicken
rot-schwarzen Uniformen schlendern anmutig vorbei. Ein kleiner, geduckter Mann
mit Schnurrbart schleppt drei Kisten prallrote Tomaten in eine Trattoria
gegenüber. Eine sehr schlicht gekleidete Frau in Schlappen schiebt ein
dunkelhaariges Baby vor sich her, das in seiner viel zu großen, wackeligen
Karre durchgeschüttelt wird wie ein Schluck Wasser in der Kurve.
Mit einem Mal verlässt mich die Entschlossenheit, mit der ich mir
die Werbestrategie für den Espresso aus Neapel vorgestellt habe. Das, was ich
hier auf den Pappen mit mir herumtrage, ist eine ganz andere Welt als das, was
ich hier vorfinde.
In diesem Moment tutet mein Handy. Eine SMS von Maria.
»Bin gerade gelandet und nehme gleich ein Taxi. In einer Stunde beim
Kunden.«
Ich simse ein knappes »Okay« zurück
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