Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)
während die Jungen begannen, sich wüsten Trinkgelagen hinzugeben. Jeder Tag heißer als der andere, und nach Sonnenuntergang kühlte es kaum ab. »Wir erleben tropische Nächte«, sagten die Meteorologen in der Tagesschau und erklärten stolz, was eine tropische Nacht ist. Einige hier in der Straße verlegten ihr Nachtlager auf die Gartenterrassen. Man hörte sie im Dunkeln mit den Campingbetten hantieren, manchmal riefen sie einen Spruch in die stickige Nacht, ein Spruch kam zurück, und so ging das hin und her. Nicht dass ich da mitgemacht hätte, im Gegenteil, aber was wollte man schon ausrichten dagegen. Auf diese Weise dümpelten alle gedankenlos dem Sommer entgegen, bis Hösli kam und seine Frage stellte.
In jenen Tagen hatte ich nichts als Scherereien. Unser Sohn hatte wieder einmal eine neue Firma gegründet, das heißt, er brauchte Geld. »Powerteam Direct Marketing« hieß das neue Ding. Ich wollte gar nicht wissen, was er den Leuten diesmal andrehte. Dann unsere Tochter. Kein Schulabschluss, kein Mann, drei Bälger. Das ganze Jammertal ist damit abgesteckt. Zwei Tage bevor Hösli mit seiner Frage kam, hatte sie meinen Passat in ein Bachtobel gefahren.
Die Frage erwischte alle auf dem falschen Fuß. Niemand wusste, wann der Nette zuletzt gesehen worden war. Hinter meiner Hecke orakelten die Nachbarn, wo er sich aufhielt, und ließen eine Plattitüde nach der anderen vom Stapel. Gegenseitig versicherten sie sich, dass er immer ein netter Kerl gewesen sei. Sollen sie doch weiterfaseln, dachte ich. Ich hatte Besseres zu tun. Seit zwei Jahren war ich frühpensioniert und widmete die meiste Zeit dem Garten. Nun hatte ich begonnen, einen alten Plan in die Tat umzusetzen: Ich grub mich in die Erde. Man kann das ruhig wörtlich verstehen. Der Plan war, ein Schwimmbassin zu bauen. Ich und meine Schaufel würden uns in die Tiefe arbeiten. Ein Bekannter, der bereits einen Pool hatte, würde mir später mit dem Gussbeton und der Auskleidung helfen.
Was ich damals nicht wusste: In dem Augenblick, als ich zum ersten Stich ansetzte, gab es bereits kein Zurück mehr. Denn was ich hier unternahm, hatte nicht nur mit mir zu tun, sondern auch mit den Nachbarn hinter der Hecke, meinen missglückten Kindern und, ja, auch mit dem Netten. Während ich mit der Schaufel ausholte, um meinem Rasen den ersten Hieb zu geben, ertönte hinter mir ein Rülpser. Ich drehte mich um und sah nur graue Schlabberhosen, Filzpantoffeln, eine Hand mit Kaffeetasse. Gleich, das wusste ich, würde sie sich in die Hollywoodschaukel setzen und die Pantoffeln von den Wasserfüßen schütteln. Seit Jahren gingen meine Frau und ich uns aus dem Weg. Wenn wir uns im Haus zufällig begegneten, kämpften wir uns aneinander vorbei wie zwei schwerfällige Tiere in einem zu kleinen Bau. Ich wandte mich wortlos um und holte erneut aus. Die Schaufel bohrte sich in die fette Erde meines Grundstücks.
Ein Swimmingpool hatte mir noch gefehlt. Im Jahr davor hatte ich das Gartenhäuschen fertiggestellt, mit Steingrill, fließend Wasser und allem Drum und Dran, den großen Teich mit Inselchen und Sitzbank gab es schon länger. Jetzt also der Swimmingpool. Ohne Whirl und das ganze Pipapo. Acht Meter lang, vier breit, zwei tief. Täglich arbeitete ich ab acht Uhr, um zehn gönnte ich mir ein Bier. Mit ausgestreckten Beinen saß ich auf der Granitbank und konnte mich nicht sattsehen an dem gestochen scharf ausgeschnittenen Erdloch. Gestört wurde ich nur von den Großmäulern, die sich meine Hecke ausgesucht hatten, um ihre Meinung über den Netten zu verbreiten. Selbstverständlich war auch Hösli dabei. Hösli redet viel, wenn der Tag lang ist, und man muss erst mal eine Weile weghören, bevor er etwas Gescheites sagt. Die von der Hirscheneck wissen, was ich meine. Doch dieses Mal war es anders. Seine Frage nach dem Netten war Thema Nummer eins. Huber, Seniorpartner von Huber + Huber in Rente, vermutete eine persönliche Krise. Jahre des Hin- und Herfliegens, der sich dicht an dicht folgenden Turniere könnten auch am Netten nicht spurlos vorübergegangen sein, meinte er. Völlig fertig sei der, ergänzte Hösli, der komme nicht mehr zurück. Vielleicht, warf Kahl von der Querstraße linker Hand ein, habe er sich in einem Sanatorium verschanzt oder auf einer einsamen Insel. Er würde zwei, drei Monate Energie tanken und danach in neuer Frische weitermachen. Blödsinn, keifte einer, der sich Schober nannte und den ich nicht kannte, der sei voll im Saft, so einer
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