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Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)

Titel: Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Steiner
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Troika begründet sich aus sich selbst heraus.
    Nein, falsch, wir sind keine verwehten Altkommunisten. Auch keine Strippenzieher im Dienst eines alten oder neuen Kapitals, schon gar nicht anarcholibertäre Familienoberhäupter von zweifelhafter moralischer Konstitution. Alles Unfug. Die Troika ist ein Geheimbund ohne Mission. Hoch oben in der gläsernen Loge sitzen wir und erfreuen uns unserer Existenz.
    Ja, es ist nur ein Spiel. Wir sind nichts anderes als drei alberne Herren, die sich auf ihre alten Tage ein bisschen amüsieren wollen. Und doch verstärken das gespielte Raunen und der Budenzauber mit der Loge nur das, worum es uns geht: Versöhnung mit der Vergangenheit, der Gegenwart, der Zukunft. Denn hinter jeder Ecke vermuten wir Griesgrame die Tragik. Ricardo hat jahrelang gegen sein eigenes Leben gekämpft, Giorgio hat bereits mehrere Leben hinter sich, und ich selber, Gustavo, habe vor bald vierzig Jahren einen Entschluss gefasst, dessen Konsequenzen mich bis in meinen Tod verfolgen werden. Die Tragik ist unser alter Hausdrache. Wir sind auf der Hut.
    Jede Sitzung der Troika wird mit einem kleinen Streich meinerseits angekündigt, wenn die meisten noch unter Morpheus’ Obhut an ihrem Kopfkissen horchen. In aller Frühe begebe ich mich zu der Straßenlaterne vor meinem Haus, öffne mit einem Dreikantschlüssel den Servicedeckel, mache ein paar Handgriffe. Bevor ich mein Leben damals wie eine Socke komplett umkrempelte, hatte ich Elektrotechnik studiert, ich weiß ein paar Sachen über Verkabelung. Ich schließe den Deckel, blicke nach oben und nicke beifällig. Dann gehe ich weiter, zur Haltestelle, um auf den Sechs-Uhr-zweiundfünfzig-Bus zu warten. Dank meiner Handgriffe leuchtet die Laterne den ganzen Tag schwach weiter. Ricardo sieht sie von seinem obersten Fenster aus, Giorgio kommt früher oder später daran vorbei, wenn er seine Runden im Dorf zieht. Das Echo auf meinen Streich folgt am Abend mit ihrem Klingelspiel an meiner Tür. Nie kommen die beiden gleichzeitig, jedes Mal morsen sie neue fremde Formeln durch meine Hausglocke. Heute klingelt Giorgio wieder einmal seinen berüchtigten 5/4-Takt.
    Sind wir wirklich albern? Ich bin überzeugt davon, dass jedes Alter seine eigene Ernsthaftigkeit hat. Sie kann immer nur lächerlich wirken auf die Jüngeren und die noch Älteren. Ich bin übrigens der Einzige von uns, der das Wort albern benutzt. Ricardo sagt schusselig , Giorgio sagt tordu , weil er für jedes Wort eine französische Variante bereit hat. »Tordu?«, frage ich. »Vom Verb tordre, gleich verdrehen, ein Verwandter davon ist die Tortur«, sagt Giorgio und äugt durch seine krausigen Augenbrauen hindurch, »die Frage jedoch ist: Haben wir uns selber derart torturiert, bis wir so verdreht waren, wie wir heute sind?«
    Wenn meine beiden Freunde in der gläsernen Loge angekommen sind, macht sich die Troika wie immer gleich an die Arbeit. Sie beginnt mit den Drinks. Jeder hat hier seine Denkart, seine Kultur. Wir versuchen gar nicht erst, einen Kompromiss zu finden. Die einzige Gemeinsamkeit ist das Mediterrane. Ricardo wird hier zum Iberer, genauer zum Andalusier, für ihn kann es nur ein Jerez sein. Und weil ich meinem Freund das Beste will, schenke ich ihm den edelsten aller Sherrys ein. Ricardo sagt: »Diese Farbe, hm«, und wir schauen uns die Farbe an. »Amber«, sagt er dann, und ich schmunzle. Jedes Mal findet er ein anderes Wort. Mir ist der Sherry zu süß, und deshalb ist mein Begleiter ein Wermut. Giorgio, das ist klar, findet kein Glück ohne seinen Pastis. »Aber ein echter, bitte, nicht der falsche, den ihr hier im Norden trinkt.« Nein, natürlich bekommt mein Freund Giorgio den echten Pastis. Den man in Marseille und Bastia trinkt.
    Ein einziges Mal habe ich diese Ordnung unterwandert. Es war an jenem Abend, als ich nach fünfzehn Jahren Arbeit meinen Epiktet fertig übersetzt hatte. Einen Ouzo darauf, dachte ich und besorgte den besten, den man hier erhält. Giorgios Ablehnung hätte unverhohlener nicht sein können. »Dieser griechische Fusel?«, grummelte er. Ich verzichtete darauf, zu einem Exkurs zur Verwandtschaft der Anisschnäpse auszuholen. Dabei ist jeder von uns auf seine eigene Art ein Grieche. Mein Spezialgebiet als Philologe ist die Stoa. Ricardo hat die griechische Lebensart verinnerlicht wie kein Zweiter, kulinarisch, alltagskulturell, aber auch, sagen wir mal, gefühlsphilosophisch. Und Giorgio ist tatsächlich ein Grieche. Nur weiß das keiner außer mir und

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