Carambole: Ein Roman in zwölf Runden (German Edition)
Stimme des Mannes: »Komm raus! Da geht’s nicht weiter.« Es ging weiter. Vorn die Schwärze, hinten ein Rest Licht, ich gebückt im muffigen Wasser. Noch einmal hörte ich den Mann: »Ich krieg dich schon noch, Rotznase!« Dann verstummte er.
Ich war in eine Betonröhre geraten, die von hohlem Gurgeln erfüllt war. Es musste jene Röhre sein, die den Bach unter dem Dorf hindurchführte. Ich konnte mich nicht erinnern, wo ihr Ausgang war. Im Dunkeln kroch ich weiter. Vielleicht, dachte ich, würde ich einen Schacht finden, der nach oben abzweigte. Die Röhre machte einen Bogen und einen Knick, aber kein Schacht zweigte ab. Dafür kam langsam ein Rauschen näher. Noch ein Knick, und ich stand vor einem Wasserfall. Gischt legte sich in winzigen Tupfern auf meine Haut. Was jetzt?
Ich kauerte mich hin. In diesem Moment begriff ich, dass ich den Teleskopkescher noch immer in der Hand hatte. Er fühlte sich merkwürdig schwer an. Ich führte die andere Hand ans Netz und wusste sofort Bescheid. Schwer und weich fühlte es sich an, ölig und geriffelt. Da hockte ich also in diesem dunklen Loch, hatte keinen Schimmer, wie ich wieder hinauskam, und hielt in meiner Hand einen Kammmolch. Er wollte nicht weg, und wenn ich ihn anstupste, stupste er sanft zurück.
Ich versuchte, die Höhe des Wasserfalls abzuschätzen, und fragte mich, wie es in einem Abenteuerroman jetzt wohl weiterginge. Dann steckte ich den Molch in die Unterhose, ließ den Kescher stehen, streckte die Hand ins fallende Wasser, suchte, und tatsächlich, ich ertastete eine Stufe. So ging das in den Romanen. Langsam kraxelte ich durch das stinkende, stiebende Wasser hoch.
Nach dem Wasserfall ging es geradeaus weiter. Der Molch schien sich in meiner Unterhose wohlzufühlen. Wenn er sich bewegte, entfuhr mir ein leises Schnauben. Es folgten ein paar Bögen und Knicke, und plötzlich war die Röhre zu Ende. Um mich herum blieb es pechschwarz, doch ich konnte nun aufrecht stehen. In den unsichtbaren Mauern gurgelte und ratterte es. Ich stolperte über eine Stufe und kroch auf einen trockenen Boden aus Beton, der schräg in die Höhe führte. Es wurde heller, und ich stieß mit dem Kopf an ein Gitter. Dahinter fahles Licht, eine vermooste Wand. Ich legte mich hin.
Hier bin ich also, dachte ich. Kleiner, dummer Junge in der Unterhose, verloren in einem dunklen Loch. Nur ich bin schuld, ich weiß es. Aber es geht niemanden etwas an, keiner hat sich darum zu kümmern. Ich muss mein Problem allein lösen.
Der Molch krabbelte unter dem Gummi der Unterhose hervor. Ich hob den Kopf und sah, dass das Tier größer war, als ich gedacht hatte. Seinen Rücken zierte ein wunderschöner Kamm. Der Keim, dachte ich, woher kommt er? Vielleicht ist es mein Komischsein, vielleicht das Alter, wie bei Fred. Meine Hand legte sich über den Molch. Langsam bewegte sich sein Kopf. Ich muss hier nicht weg, dachte ich. Ich kann bleiben, solange ich will. Ich schloss die Augen und realisierte, dass das Rattern, das ich für ein Geräusch der Kanalisation gehalten hatte, Schritte von Menschen waren. Denn jetzt hörte ich auch eine Stimme, und kurz darauf eine zweite.
Ich hätte aufstehen und weitergehen sollen. Den Schacht suchen, der mich ans Tageslicht brächte. Das wäre das einzig Vernünftige gewesen. Aber ich blieb mit geschlossenen Augen liegen und lauschte den Stimmen. Bestimmt, dachte ich, hat der Mann Leute geschickt, die am nächsten Kanaldeckel auf mich warten. Vielleicht hat er die Feuerwehr gerufen, die bereits alle Kanäle ums Dorf herum durchkämmt. Vielleicht sind es Fred und Igor, die mich schon längst suchen. Ich lauschte und rührte mich nicht. Die Stimmen wurden lauter.
»Keiner kennt das. Hab ich selbst entdeckt.«
»Und jetzt?«
»Zeig ich dir gleich.«
Ich kannte sie genau, diese zwei Stimmen. Es war nicht die Feuerwehr, es waren auch nicht Fred und Igor. Das waren Renate und dieser Typ, Benno, oder Bruno? Der Molch begann, mit dem Schwanz zu wackeln, krabbelte über meinen Bauch, meine Hand hielt ihn fest. Die zwei Stimmen dröhnten über uns hinweg.
»Wir machen es uns jetzt mal gemütlich.«
»Ich will zu Chantal. Bei ihr ist’s gemütlich.«
»Wie geht das auf?«
»Musst deswegen nicht reißen.«
»Ah. Jetzt!«
»Hör auf. Ich find das langweilig.«
Ich hätte rufen und sie um Hilfe bitten können, aber ich tat es nicht. Sollten sie mir alle gestohlen bleiben, und ich ihnen auch. Der Molch entschlüpfte mir, meine Hand suchte, erwischte ihn
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