Caras Gabe
Leben lieb ist“, zischte Walum.
Der Klang seiner Stimme brach den Bann. Energisch befreite ich mich von Walums Griff und senkte den Blick auf den Schnee. Es war erstaunlich, wie viele verschiedene Muster ich auf einmal in den Eiskristallen wahrnahm. Jedes einzigartig, wunderschön und so leicht zu zerstören. Mir war, als würde der Schnee zu mir sprechen und ich hoffte inständig, dass das Biest in diesem Moment den Wald verließ und durch den Nebel zu uns heranpirschte.
„Es ist gut“, sprach der Lichtträger in die Stille, „dass ihr mich fürchtet.“
In meinen Ohren kreischte Glas auf Glas. Ich hob den Kopf. Der Lichtträger griff hinter sich und zog eine Feder aus seinem Gefieder.
Neben mir rappelte Walum sich auf die Beine und nahm sie mit gesenktem Kopf und erhobenen Händen entgegen. Er zuckte zusammen, als das Glas ihm in die Haut schnitt. Rote Tropfen spritzten auf den Schnee.
„Dies ... ist das Zeichen ihrer Macht!“
Walum riss die Feder hoch über seinen Kopf. Die Wolken brachen auseinander, geteilt von einem gleißenden Lichtstrahl, der auf die Erde sauste. Er schlug wie ein Blitz in die Feder ein und verwandelte sie in ein blendend helles Leuchtfeuer aus weißem Licht. Die Druckwelle des Blitzes schleuderte mich zu Boden und löschte die Fackeln mit einem Schlag aus. Zwielicht senkte sich über uns. Die Menschen außerhalb des Kreises riefen erschrocken und ängstlich durcheinander.
„Das Zeichen ihrer Macht!“, brüllte Walum.
Ich hob eine Hand vor meine Augen und kämpfte mich hoch. Der Priester stand hell erleuchtet von pulsierendem Licht, das in die gläserne Feder eingedrungen war. Es sprang nach allen Seiten aus und setzte die Fackeln wieder in Brand. Doch es war kein Feuer mehr, das in ihnen brannte, sondern ein milchiges, gelbes Leuchten, vor dem alle Schatten flohen. Direkt unter den Fackeln begann der Schnee zu schmelzen. Ich stand in einem Kreis von Sonnen.
Walum fuhr herum und stürmte auf mich zu. Blut lief an seinem Arm herunter. Sein Gesicht war von Schatten und Lichtreflektionen zu einer Teufelsfratze verzerrt. Unmittelbar vor mir kam er zum Stehen und hielt die Feder direkt vor mein Gesicht. Lichtpunkte tanzten vor meinen Augen.
„Vergesst das niemals“, mahnte er eindringlich. Dann ließ er das Gebilde aus Glas fallen. Geräuschlos wurde es vom Schnee verschluckt.
Walum wandte sich ab und breitete die Arme aus. Er sprach wieder zur Gemeinde, doch ich hörte seine Worte kaum.
Wie gebannt starrte ich auf das winzige Loch zu meinen Füßen. Warum, bei allem was ihm heilig war, hatte er die Feder direkt vor mir fallengelassen? Ich machte einen Schritt vor, so dass ich unmittelbar über dem Glasgebilde stand. Vorsichtig schielte ich umher, um zu sehen, ob ich beobachtet wurde.
Kessandra war dabei, auf die Menschen einzureden und ihnen einzubläuen, wie ehrenvoll es war, Zeuge dieser Zeremonie zu sein. Die Augen des Lichtträgers waren auf Bardorack gerichtet. Er winkte den Priester zu sich heran.
Der bucklige Mann stolperte ein paar Mal über sein Gewand, rieb sich nervös die Knochenhände, bevor er schwer atmend und mit gesenktem Kopf vor dem Lichtträger zum Stehen kam. Dessen quecksilberner Blick und fuhr verächtlich über die Dörfler, die außerhalb des Kreises im Schnee kauerten und mehr denn je aussahen wie verschreckte Tiere. Ekel zuckte über sein sonst so erhabenes Gesicht.
„Was für ein erbärmliches Publikum“, kratzte er hämisch. Dann sprach er so leise zu Bardorack, dass ich seine Stimme nicht mehr hören konnte.
Dennoch ahnte ich, was nun folge würde. Es war Teil des Rituals, dass man mir die alten Klamotten vom Leib riss und sie verbrannte, um mich dann in weiße, federbehangene Gewänder zu kleiden. Nach dem fanatischen Grinsen auf Bardoracks Gesicht zu urteilen, würde er diese Aufgabe übernehmen.
Ich hätte nur zu gerne die Augen verdreht oder laut gelacht, doch allein der Anblick der messerscharfen Schwingen des Lichtträgers ließ mir die Kehle eng werden und brachte mich zum Schwitzen. Das gelbe Licht der Fackeln brach sich hundertfach in ihrem durchsichtigen Glas und stach mir in den Augen.
Ein leises Grollen drang an meine Ohren. Der Kopf des Lichtträgers fuhr herum. Ich erstarrte.
Ein roter Schemen tauchte knurrend aus dem Schneenebel hinter dem Lichtträger auf. Schwarze Hörner teilten die Nebelfetzen, darunter glühten nachtschwarze Augen, glitzerten rubinfarbene Schuppen. Geifer tropfte von seinen Zähnen in den Schnee und
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