Caras Gabe
nicht vor mir verstecken.“
Ich atmete tief ein. „Ich … ich habe mich nur gefragt, was es bedeutet, heimatlos zu sein.“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf und kämpfte gegen den Druck in meiner Brust. „Mein Dorf war ein schrecklicher Ort. Warum vermisse ich es?“
Arun seufzte und legte eine Hand auf meine Schulter. „Wir können uns nicht aussuchen, was wir lieben.“
Mein Kopf fuhr hoch. „Das ist doch Unsinn.“
Er sah mich auf eine seltsam intensive Art an, die mir einen leisen Schauer über den Rücken schickte. „Keine Blume kann entscheiden, ob sie in der Sonne erblüht oder nicht. Sie können nicht anders. Wir können uns nicht aussuchen, was wir lieben.“ Seine Hand strich über meine Schulter, umfasste meinen Nacken. „Was uns berührt, was wir fühlen“, flüsterte er heiser. „Es gehört uns nicht.“ Dann beugte er meinen Kopf zurück und küsste mich. Sanft, vorsichtig und so zärtlich, dass ich hätte weinen können.
Ich wünschte mir, dass ich niemals wieder etwas anderes fühlen würde als diese warmen Wellen, die meinen Körper durchfluteten, die meine Sorgen und düsteren Gedanken mit sich fortschwemmten und einen Teil von mir heilte, den ich alleine nicht erreichen konnte.
Viel zu schnell löste Arun sich von mir, aber nicht, ohne seine Hände noch einmal durch mein Haar und über mein Gesicht gleiten zu lassen.
Fasziniert betrachtete ich ihn im schwachen Mondschein. „Du bist so schön“, flüsterte ich.
Seine Zähne blitzten auf, als er sie in einem vorgetäuschten Versuch, mich einzuschüchtern entblößte und leise knurrte.
„Wo sind die Scherben?“, fragte ich lachend.
Er trat einen Schritt zurück und hielt eine Holzkiste hoch. Sie sah aus wie jene, die Rosana in ihren Regalen stehen hatte. Dunkles poliertes Holz, durch einen einfachen Verschluss am Deckel zu öffnen. Ich griff danach und drückte sie an meine Brust. Sie war überraschend leicht. In ihrem Innern schepperte es leise.
„Drei Männer sind angekommen“, sagte ich.
Arun nickte, als habe er nichts anderes erwartet.
„Wird Rosana mir auch in ihrem Beisein sagen können, wo ich suchen muss?“
„Kin Fehr ist ihr Bote“, antwortete Arun uns setzte sich in Bewegung. „Er weiß ohnehin alles, das sie weiß.“
Eine Weile liefen wir schweigend durch den Wald. Ich genoss den Geruch der feuchten Erde und die Versprechungen von Frost und Sturm im Wind.
Arun bewegte sich so lautlos wie immer. Ich sah ihn von der Seite her an. „Wie konnten die Priester dich … das Biest überhaupt in Schach halten?“
Arun schaute zum Himmel und dann zu mir. „Sie rezitieren die Worte des Lichtes. Es schadet uns nicht, aber es verwirrt uns und macht uns langsam. Dadurch sind wir angreifbar und verletzlich.“
„Was sind das für Worte und woher kennen sie sie?“, fragte ich neugierig.
Ein Lächeln zuckte über sein Gesicht. „Es sind im Grunde harmlose Zauber. Die Priester haben sie gelesen und sich eingeprägt.“
Ich unterdrückte ein Stöhnen. „Fein“, sagte ich nach einer Weile. „Vielleicht lerne ich es auch irgendwann.“ Insgeheim störte es mich sehr, dass es da etwas gab, etwas wie ein Geheimnis, von dem nur Eingeweihte erfahren konnten, von dem ich jedoch ausgeschlossen war, aber das konnte ich im Moment nicht zugeben. Ich fühlte mich ohnehin schon benachteiligt. Meine Hände fassten die Holzkiste fester. Es wurde Zeit, dass ich meine Suche beginnen konnte.
Kapitel 9
Zurück im Haus wartete man anscheinend bereits auf uns. Fehr hatte sich gewaschen und frische Kleidung angezogen. Er saß entspannt auf einem der Stühle vorm Feuer und unterhielt sich in einem vertrauten Ton mit Rosana, die am Kessel stand und mit ganzem Körpereinsatz darin rührte. Als Arun und ich eintraten, verstummte ihr Gespräch.
Fehrs Augen waren fest auf Arun gerichtet. Ein wenig befangen trat ich zur Seite.
Fehr erhob sich und neigte den Kopf. „Arunas Merùn. Eure Anwesenheit ehrt uns.“
Arun nickte kurz, blieb jedoch in den Schatten und sagte kein Wort. Irritiert über die unerwarteten Formalitäten schaute ich zu Rosana. Sie lächelte, wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und kam zu mir.
„Gut, dass ihr zurück seid“, sagte sie. „Ich habe alles vorbereitet. Das Einzige, das noch fehlt, ist eine Scherbe des Flügels.“
Unwillkürlich drückte ich die Holzkiste fester an mich. „Was hast du vor?“, fragte ich misstrauischer als beabsichtigt.
Rosana wies auf den Kessel über dem Feuer.
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