Caras Schatten
Lärm. Der Korridor war voller Rauch und rennender, schreiender Schüler. Cara stand mittendrin und erstickte erneut an dem Stück Karotte. Doch diesmal bemerkte es niemand. Die anderen waren viel zu sehr damit beschäftigt, vor dem Feuer zu fliehen. Cara sah, wie Ethan an ihrem Traum-Ich vorbeilief, und öffnete den Mund, um nach ihm zu rufen, doch es kam kein Ton heraus. Diesmal bestand kein Zweifel, verkündete ihr Verstand: Sie würde sterben. Der Feueralarm heulte immer lauter.
Cara öffnete die Augen. Das Zimmer war in flackernd rotes Licht getaucht, und für einen Moment glaubte sie, ihr Traum wäre Realität geworden. Dann wurde das Heulen so laut, dass es direkt aus ihrem Zimmer zu kommen schien. Cara setzte sich auf und warf einen Blick zu Zoe hinüber. Sie lag immer noch in derselben Position da. Scheinbar hatte sie sich so tief in den Kissen vergraben, dass sie der Lärm nicht störte.
Cara warf die Decke zurück und ging fröstelnd zum Fenster. Die Dielen unter ihren Füßen fühlten sich glatt und eiskalt an. Abrupt hörte der Sirenenlärm auf. Cara spähte nach draußen. Vor Sydneys Haus stand ein Krankenwagen. Die Sirene war ausgeschaltet, doch die roten Lichter flackerten weiter. Zwei Rettungssanitäter sprangen aus dem Führerhaus und rannten die Stufen hinauf. Einer von ihnen hatte einen großen schwarzen Koffer in der Hand, der andere trug eine orangefarbene Tasche über der Schulter. Der größere der beiden klingelte. Als niemand öffnete, spähten die Sanitäter durch die Seitenfenster. Dann griffen sie nach der Tür, die sich mühelos öffnen ließ. Cara beobachtete, wie sie im Haus verschwanden.
Sie wandte sich dem Bett zu. »Zoe!« Sie rüttelte ihre Freundin an der Schulter.
»Hmm, was ’n?«, murmelte Zoe, ohne die Augen zu öffnen. Sie rollte auf die andere Seite und versuchte sich das Kissen über den Kopf zu ziehen.
Cara rüttelte sie erneut und zog ihr die Decke weg. »Steh auf! Nebenan stimmt was nicht.«
Zoe setzte sich auf. »Oh Mann, was ist denn? Ich schlafe!«, maulte sie und rieb sich das Gesicht.
»Gott, du bist echt schwer wachzukriegen. Bei Sydney ist irgendwas passiert. Ein Krankenwagen steht vor dem Haus.« Zoe schwang die Beine aus dem Bett, und Cara ging zurück zum Fenster. »Die Sanitäter sind gerade reingegangen.«
»Car, sieh mal hier.«
Cara drehte sich um. Zoe stand an dem anderen Fenster, das Sydneys Terrasse überblickte. Cara ging zu ihr rüber und sah hinaus. Im saphirblauen Wasser des Pools, angestrahlt wie eine Skulptur, trieb eine menschliche Gestalt, mit dem Gesicht nach unten. Die Poolbeleuchtung bildete wunderschöne goldene Lichtsäulen, die den schlaffen Körper zu tragen schienen.
Lange braune Haare breiteten sich wie Tentakel in alle Richtungen aus. Die Gestalt trug ein pinkfarbenes Top mit schwarzem BH darunter und enge weiße Jeans. Caras Finger krallten sich in die Fensterbank. Ein Hauch von Chlor drang ihr in die Nase. »Oh Gott, das ist Sydney«, flüsterte sie.
Zoe stand schweigend neben ihr. Sie beobachteten, wie die Rettungssanitäter durch die Terrassentür stürmten, gefolgt von einer schreienden Alexis.
»Da ist sie! Da ist sie!«, kreischte Alexis und deutete auf den Pool. Ihre Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab, als hätte man ihr einen Elektroschock verpasst. Die Sanitäter holten Sydney mit dem Poolkescher an den Beckenrand und packten sie unter den Achseln, um sie herauszuziehen. Cara spürte, wie ihr die Magensäure hochstieg, als die Sanitäter Sydneys leblosen Körper über den Beckenrand hievten und dabei die halbe Terrasse unter Wasser setzten. Ihr Kopf sackte schlaff zur Seite.
»Oh Gott! Oh Gott!«, schrie Alexis wieder und wieder. Die Sanitäter legten Sydney auf die Terrasse. Einer von ihnen massierte mit bloßen Händen ihren Brustkorb, während der andere diverse Gegenstände aus der orangefarbenen Tasche holte. Im Hintergrund standen die anderen Partygäste dicht zusammengedrängt in der Tür und hielten sich gegenseitig im Arm.
Plötzlich zwängte sich Caras Mutter durch einen Spalt in der Hecke, die die beiden Grundstücke voneinander trennte. Direkt dahinter folgte ihr Vater. Mom hatte einen Pashminaschal über dem Arm hängen, und Dad trug immer noch seinen Anzug. Anscheinend waren sie gerade erst von ihrem Empfang zurückgekommen. Mom trippelte auf ihren Stilettos zu den Sanitätern. Als sie Sydney erblickte, schlug sie erschrocken die Hand vor den Mund und unterdrückte einen Schrei. Einer der
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