Caras Schatten
Sanitäter sah zu ihr auf. »Sind Sie die Eltern des Mädchens?« Seine Hände massierten unentwegt Sydneys Brustkorb.
»Nein«, erwiderte Mom, den Blick wie gebannt auf Sydneys leblosen Körper gerichtet. »Oje. Wir sind nur die Nachbarn. Wir sind gerade nach Hause gekommen und haben den Aufruhr mitbekommen …« Ihre Stimme erstarb. Sie starrte Sydney weiter fassungslos an. Dad legte einen Arm um ihre Schulter.
»Wird sie es überstehen?«, fragte er den Sanitäter. Er bekam keine Antwort.
»Das können wir noch nicht sagen«, sagte der andere Sanitäter. »Es würde uns sehr helfen, wenn Sie jetzt nach Hause gingen. Vielen Dank.« Er zog einen langen Schlauch hervor und machte sich an Sydneys Kopf zu schaffen.
Mom und Dad drängten sich zurück durch die Hecke. Einen Moment später hörte Cara, wie unten die Haustür auf- und zuging, gefolgt von den Schritten ihrer Eltern. Caras Atem ging plötzlich flach und schnell. Ihr wurde bewusst, dass sie Zoes Hand hielt. Der Griff ihrer Freundin war fest und beruhigend.
Die Schritte kamen die Treppe herauf. Caras Herz schlug schneller, als ihr klar wurde, dass ihre Eltern jeden Moment nach ihr sehen würden. Sie blickte Zoe an, und als könnte ihre Freundin Gedanken lesen, ließ sie sich wie ein Stein zu Boden fallen und rollte sich mit einer geschmeidigen Bewegung unters Bett.
Cara sprang unter die Decke und zog sie sich bis zum Hals, da klopfte es sanft an der Tür. Sie schloss die Augen und zwang sich, ruhig und tief zu atmen. Gleichzeitig warf sie einen Arm über den Kopf, um ihre typische Schlafhaltung einzunehmen. Zoe gab keinen Mucks von sich.
Mit geschlossenen Augen hörte Cara, wie sich die Tür einen Spaltbreit öffnete. Sie wusste, dass ihre Mutter vorsichtig ins Zimmer schielte, aber sie traute sich nicht hinzusehen. Gefühlte zehn Jahre lang passierte gar nichts, dann schloss sich die Tür wieder. Cara öffnete die Augen erst, als sie hörte, wie die Schritte die Treppe hinunter verschwanden.
Zoe kroch unter den Rüschen der Betteinfassung hervor, eine Staubflocke im Haar. »Ich schätze, das war wohl meine Bewährungsprobe.«
»Aber echt.« Cara atmete erleichtert aus und ging wieder zum Fenster. »Das war knapp.«
Draußen kümmerten sich die Sanitäter immer noch um Sydney. Sie hatten ihren Kopf auf die Seite gedreht. Sie rührte sich nicht. Wieder und wieder massierten sie ihren Brustkorb und drückten auf einen blauen Beutel, der an einem Schlauch in ihrem Mund befestigt war. Schließlich erhob sich einer der Sanitäter, während der andere die Herz-Lungen-Massage fortsetzte. Er nahm Alexis beiseite. Die kühle Herbstluft trug seine Stimme zu ihnen herauf. »Wie viel hat deine Freundin getrunken?«, fragte er.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Alexis starr. Sie stand händeringend vor ihm, ihre großen Augen auf Sydneys leblosen Körper gerichtet. »Ich weiß nicht, wir haben alle etwas getrunken. Ziemlich viel, würde ich sagen. Ich bin irgendwann eingeschlafen. Ist sie tot? Oh Gott, ist sie tot?« Ihre Stimme steigerte sich zu einem hysterischen Kreischen. Plötzlich versuchte sie, den Sanitäter zur Seite zu schubsen, um zu Sydney zu gelangen. Er packte sie an den Schultern.
»Schon gut, ich weiß, dass dich das hier sehr mitnimmt. Wo sind ihre Eltern?« Er richtete einen Kugelschreiber auf sein Notizbuch.
»Nicht hier. Sie sind in ihrem Ferienhaus«, schluchzte Alexis. »Bitte sagen Sie’s mir, sagen Sie’s mir, ist sie tot?«
»Auweia, die ist ja voll durchgeknallt«, murmelte Zoe. »Gebt dem Mädel Xanax.« Cara musste unwillkürlich kichern, dann schlug sie sich die Hand vor den Mund, entsetzt über sich selbst.
Der Rettungssanitäter ließ sein Notizbuch zuschnappen. Er nickte seinem Kollegen zu, der sich aus seiner hockenden Position erhob und in ein Funkgerät sprach. Er sagte irgendetwas Unverständliches. Dann hoben sie Sydney auf eine starre orangefarbene Bahre und schnallten ihren Körper mit Gurten fest. Cara stockte der Atem, als die Sanitäter ein Tuch über ihr Gesicht breiteten.
Das war’s also. Sie war tot.
Alexis war verstummt. Sie starrte Sydneys zugedeckte Leiche an. Mit der stillen Effizienz von Möbelpackern hoben die Sanitäter die Bahre hoch und trugen sie vorbei an den umgekippten Terrassenmöbeln durch ein Seitentor in den Vorgarten.
Cara ließ sich auf ihr Bett sinken, während die Sirenen erneut anhoben und in der Nacht verschwanden. Sie nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug. »Oh Gott. Ich kann’s nicht
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