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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Umschlag ist
     bedeutend dicker als der von Jola, obwohl sie nichts tut als herumstolzieren und in alles ihre Nase stecken, und als Jola
     noch Vorarbeiterin war, ist sie den anderen wenigstens mit gutem Beispiel vorangegangen mit ihrer harten Arbeit.
    »Abzüge ist was du zahlen«, kreischt Geta in ihrem furchtbaren Englisch. »Guck   – Trasport, Wohn, Steuer, Sozialbetrag.«
    »Sozialbetrag?«
    »In England müssen alle zahlen. Ist Gesetz.«
    »Und das hier – TG.   Was ist das?«
    »Das ist Trenning-Gebühr. Du kein Wissen wie geht muss haben Trenning.«
    »Trenning? Was ist das?«
    »Trenning ist lern. Du muss lern wie Arbeit geht.«
    »Diese Arbeit kann jeder Dummkopf machen. Was soll ich lernen?«
    »Ich zeig, du lern. Ich zeig, wie du Hühnchen auf Schale.«
    »Und dafür bezahle ich?«
    »Nach ein Woche du normal Satz.«
    »Und du kriegst mehr?«
    »Natürlich. Ich Vorarbeitersatz.«
    Jola spürt, wie die Wut in ihr hochkocht, rotglühend, als würde sie jeden Moment explodieren, Marta muss sie zurückhalten,
     und wer weiß, was passiert wäre, wenn sich nicht plötzlich dieser blendend aussehende junge Mann eingemischt hätte, mit langen
     blonden Haaren und muskulösen Waden dick wie Preiskürbisse, von so was können die meisten Frauen nur träumen – und ja, er
     hat kurze Hosen an, die den meisten Männern überhaupt nicht stehen, aber bei ihm ist es annehmbar, um nicht zu sagen wirklich
     kleidsam, |174| denn seine Beine sind von der Sonne gebräunt und mit feinen blonden Härchen bedeckt und haben Muskeln dick wie – ja, das wissen
     wir bereits. Jedenfalls kommt plötzlich dieser junge Adonis auf sie zu und fragt: »Brauchen Sie Hilfe bei Ihrer Lohnabrechnung?«
    Welche Frau würde da wohl nein sagen?
    Kürbisbein erklärt ihr alles – dass der Rentenbeitrag für ihre Versorgung ist, wenn sie sich zur Ruhe setzt, aber da sie sich
     in Polen zur Ruhe setzt und nicht in England, wird sie keinen Penny davon sehen, und sie würde wahrscheinlich sowieso keinen
     Penny davon sehen, weil diese Blutsauger das Geld gar nicht in den Rentenfonds einzahlen, sondern es für sich behalten, um
     es für Rolls-Royces und Luxusyachten auszugeben, ja, da sie es erwähnt, wahrscheinlich kaufen sie damit auch unbequeme Unterhosen
     für ihre schlampigen Frauen, und das Gleiche passiert mit der Krankenversicherung und vielleicht sogar mit der Lohnsteuer
     – wenn das Finanzamt einen Penny davon sieht, kann es von Glück sagen, und die Abzüge für Transport und Unterkunft sind nicht
     direkt illegal, aber sie sind viel zu hoch, und er sieht sich die ganze Sache gern mal an, wenn sie möchte. Und am Ende fragt
     er sie, ob sie bei der Gewerkschaft der Geflügelarbeiter Mitglied werden will. Welche Frau würde da wohl nein sagen?
     
    Auch Tomasz ist von einem jungen Mann in Shorts für die Gewerkschaft der Geflügelarbeiter angeworben worden, der ihn auf dem
     Weg zur Arbeit angesprochen hat, auch wenn es nicht seine Beine waren, die Tomasz überzeugt haben; es war eine tiefe, unerklärliche
     Wut auf Vitali und auf alles, wofür er steht. Dieser Vitali, zu ungeduldig ist er – hat es so eilig, reich zu werden, dass
     er die Grundregeln der Menschlichkeit vergessen hat. Doch Tomasz ist auch wütend |175| auf sich selbst: Er hätte sich nie auf Vitalis Geschäfte einlassen dürfen. Er ist nach England gekommen, um nach ein paar
     seltenen Bob-Dylan-Platten zu suchen und ein bisschen was von der Welt zu sehen, bevor er zu alt dafür ist, und ja, vielleicht
     auch, um die Liebe zu finden, falls sie ihm über den Weg läuft. Aber irgendwie hat er zugelassen, dass er immer tiefer sank,
     bis an einen Punkt, wo er anderen Kreaturen Leid zufügte, ohne etwas dabei zu empfinden. Er hat sich in ihrem Schachspiel
     zum Bauern machen lassen.
    Es war erst sieben Uhr morgens, und ihm waren schon zwei schreckliche Dinge passiert. Als er im Morgengrauen in das verdreckte
     Esszimmer hinunterging, um ein paar Scheiben Brot mit Margarine und Marmelade zu essen, bevor um sechs Uhr der Transporter
     kam – ja, er hatte in Aprikosenmarmelade investiert   –, wollte er sich noch kurz hinsetzen und an dem Song arbeiten, den er nachts komponiert hatte. Und da hatte er entdeckt,
     dass seine Gitarre weg war. Er konnte es erst gar nicht glauben. Doch er suchte überall, unter dem Tisch, wo Essensreste und
     Abfall von gestern Abend lagen, in den schimmeligen Küchenschränken, in den Schlafzimmern mit der verbrauchten Luft der

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