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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Kommunismus, als er von Freiheit geträumt hatte, ohne zu wissen, was das war?
     Ist er wirklich freier als die Hühner in der Halle, hier, eingepfercht in einen stinkenden kleinen Raum mit fünf Fremden,
     sich dem täglichen Grauen unterwerfend, das ihm bereits zur Routine geworden ist? Quäler und Gequälte, sie alle sind verdammte
     Kreaturen in der Hölle. Da muss ein Song drin sein.
     
    Jola hatte üble Laune. Heute Morgen musste sie feststellen (fragen Sie nicht wie), dass die Slowakinnen, mit denen sie das
     Hotelzimmer teilten, kein Schamhaar hatten. Dass so was erlaubt ist! Bestimmt waren sie nicht so zur Welt gekommen – na ja,
     wahrscheinlich schon, aber im natürlichen Lauf der Dinge war da was gewachsen, und sie hatten zu unnatürlichen Maßnahmen gegriffen,
     um es zu entfernen. Es gibt viel Schlechtes, das man über den Kommunismus sagen kann, aber wenigstens haben in kommunistischen
     Zeiten die Frauen ihr Schamhaar nicht derart misshandelt – ein Eingriff, der unnatürlich, unansehnlich, unwürdig und, ohne
     genauer werden zu wollen, potentiell gefährlich ist.
    Und wie sie so über die Dinge nachdachte, die Frauen sich selbst und anderen Frauen antaten, war Jola schon auf Krawall gebürstet,
     als sie bei »Buttercup Meadow Farmfrisches Geflügel« in der Nähe von Shermouth ankam. Ihre Laune |169| verschlechterte sich weiter, als sie feststellte, dass sie – eine Frau der Tat mit zwei Jahren Vorarbeiterinnenerfahrung und
     guten Kenntnissen der Angielski-Lebensweise und des Lebens an sich (wovon später die Rede sein wird) – in der Fabrik nicht
     unverzüglich eine Vorarbeiterinnenstelle angeboten bekam. Stattdessen setzte man ihr eine ziemlich derbe und unangenehme Rumänin
     namens Geta vor die Nase, die furchtbares Englisch sprach und mit ihrer Belegschaft, die hauptsächlich aus Slawen bestand,
     Kommunikationsprobleme hatte und darüber hinaus keine Ahnung von der Bedeutung sexueller Harmonie zur Gewährleistung einer
     entspannten Atmosphäre am Arbeitsplatz. Geta hatte außerdem die ekelhafte Angewohnheit, sich auf die Finger zu spucken, bevor
     sie nach den Hühnerteilen griff, die über das Fließband kamen, und Jola nahm an, dass es nur ihre blonde Mähne gewesen war,
     der jeder Dummkopf ansah, dass sie gefärbt war, sowie ihr schamloser Busen, der eindeutig mit Latexschaum und Drahtgestellen
     unterfüttert war (eine Unart, zu der Jola eine deutliche Meinung hatte, aber davon später), und das Diplom für Lebensmittelhygiene
     des Polytechnischen Instituts Bukarest, dem jeder Dummkopf ansah, dass es gefälscht war, die ihr die beneidenswerte Position
     verschafft hatten.
    Jedenfalls fängt die unterdrahtete falsche Blondine mit dem falschen Diplom dann auch noch an, Jola zu belehren, wie man zwei
     Stück Huhn auf eine Styroporschale zu packen hat, und tut dabei so, als bräuchte man eine Urkunde vom Polytechnischen Institut
     dafür, dabei muss man einfach nur zwei Stück Hühnerbrust vom Fließband nehmen, wo alle möglichen zerhackten Hühnerteile liegen,
     und muss sich nicht extra in die Hände spucken, wie die gefärbte Rumänin es macht, und als Jola sie darauf hinweist, ist sie
     beleidigt und sagt, ihr Polinnen, seit ihr legal, denkt wohl, wisst alles, |170| dabei wisst gar nix, und hier, so muss die zwei Bruststücke auf Schale legen, und dann Fett und Haut darunterschieben, damit
     Brust hübsch und fett aussieht, was eigentlich das Gleiche ist, was die falsche Blondine mit dem Latexschaum und ihren eigenen
     unterdrahteten Brüsten macht, und sie verrät sogar, dass die Hühner mit Wasser, Salz, Schweinefleisch und anderen Sachen aufgespritzt
     sind, damit sie fett wirken, was noch schlimmer ist als Latex, wenn man darüber nachdenkt, weil, das Zeug muss man essen,
     und Latex nicht – auch wenn Jola bei den Männern von heute nichts mehr überraschen würde   –, und dann verpackt man sie mit Frischhaltefolie von einer großen Rolle und schickt sie weiter auf dem Fließband zu den Frauen,
     die die Schalen wiegen und die Etiketten aufkleben, gelbe Etiketten für den einen Supermarkt, blaue Etiketten für den anderen,
     und so weiter. Dafür braucht man wohl keine Urkunde, oder?
     
    Martas Job ist sogar noch weniger anspruchsvoll.
    Als sie bei Buttercup Meadow ankamen, hatte sie deutlich gesagt, dass sie die Hühner füttern wollte. Aber der Vorarbeiter,
     ein netter, freundlicher Litauer, dem beide Vorderzähne fehlten, der aber trotzdem – oder vielleicht

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