Caravan
deswegen – gut Polnisch
sprach, hatte erklärt, dass es den Job nicht mehr gebe, seit die Hühnerfütterung komplett automatisiert sei, wegen der Mischung
von Hormonen und Antibiotika, die die Hühner brauchten, und außerdem rieche es im Geflügelstall sehr schlecht, das sei kein
angenehmer Ort für eine junge Frau mit ihrem Zartgefühl.
Stattdessen hat man sie in die Abteilung der Fabrik geschickt, wo die Hühnchen sortiert werden. Sie kommen auf einem Fließband
aus dem Schlachthaus, und alles, was Marta zu tun hat, ist, sich die Hühnchen anzusehen, diejenigen, die schön und unbeschädigt
sind, herauszusuchen und auf |171| ein anderes Fließband zu legen – das sind die, die als ganzes Huhn verpackt und verkauft werden. Die Hühner, die nur wenig
geschunden sind, zum Beispiel ein gebrochenes Bein haben oder Ammoniakverbrennungen an den Haxen, bleiben auf dem Fließband
liegen, sie kommen in einen anderen Teil der Fabrik, wo sie in Hühnchenteile zerlegt und dann verpackt werden, das ist die
Abteilung, wo Ciocia Jola arbeitet. Die Hühner, die sehr schlimm zugerichtet sind, kommen in eine riesige Plastikwanne, sie
werden für die Lebensmittelindustrie weiterverarbeitet – Frikassee, Pasteten, Chicken-Nuggets und Schulessen.
Am Anfang ist Marta so damit beschäftigt, die unbeschädigten ganzen Hühner herauszusuchen, dass sie sich keine Gedanken über
das Verfahren macht und sich auch nicht fragt, weshalb so viele der Tiere, die durch die Gummischwingtür kommen, in einem
so schrecklichen Zustand sind. Die Hühnchen, die sie heraussucht, machen, auch wenn sie leider tot sind, einen lieben, friedlichen
Eindruck, und sie haben schöne fette Brüste, und die ganze Zeit gehen Marta die köstlichsten Rezepte durch den Kopf, mit denen
sie den Geschöpfen einen würdevollen Übergang in die nächste Welt verschaffen würde. Zum Beispiel könnte man sie mit Haferflocken,
Estragon, Zitrone und Knoblauch füllen, oder mit Preiselbeeren, braunem Zucker und Speck – das isst ihre Mutter am liebsten
– oder mit Semmelbröseln, Butter und Trockenfrüchten, oder mit Maronen und … Maronen genügen auch allein. Oder man legt das Hühnerfleisch in einer feinen Paprika-Joghurt-Marinade ein, oder in Honig
und Meerrettich, aber nicht zu viel Meerrettich, sonst wird es zu scharf, vielleicht nur Pfeffer, zerdrückte schwarze Pfefferkörner,
die krachen, wenn man daraufbeißt, und ein wenig Majoran, der immer gut schmeckt zu weißem Fleisch.
Den Vorarbeiter, der für einen Litauer wirklich ziemlich |172| nett ist, hätte sie gern gefragt, ob sie mal ein Hühnchen mit heimnehmen dürfte, um das Meerrettichrezept auszuprobieren –
natürlich würde sie dafür bezahlen –, doch dann fällt ihr ein, dass sie ja gar nicht mehr im Wohnwagen wohnen, und in der überfüllten Herberge gibt es keine
Möglichkeit zum Kochen. Na ja, noch so eine Sache, die warten muss, bis sie wieder zu Hause ist.
Wenn sie nicht gerade über Rezepte oder die Wundertaten der Heiligen nachdenkt, was auf die Dauer ein bisschen eintönig werden
kann, denkt sie immer öfter an Zdroj, an zu Hause, an ihren älteren Bruder, der immer noch bei ihnen lebt, ihre Mutter, die
Lehrerin ist, und ihren Vater, der im Rathaus arbeitet und ein Kollege von Tomasz ist – was, fragt sie sich, mag wohl aus
Tomasz geworden sein? –, und an den kleinen Mirek, der so oft Teil ihrer Familie ist, wenn Jola mal wieder auf der Suche nach einem neuen Ehemann
ist. Und auch wenn Jolas Leben manchmal sündig ist, ist es nicht an uns, Jola zu verurteilen, denn keiner von uns ist ohne
Sünde, und wer weiß, was wir in ihrer Lage tun würden, und es war eine Schande, dass der Vater des Kindes sie einfach hat
sitzen lassen und sie ihr Down-Syndrom-Baby allein aufziehen musste.
»Wann fahren wir nach Hause?«, fragt Marta Jola, als sie draußen vor der Fabrik in der Sonne stehen und ihren ersten Wochenlohn
nachzählen.
»Wann? Wenn wir Millionäre sind.« Jola lächelt ihre Nichte grimmig an. Das hier muss ein Irrtum sein. Der Lohn ist gerade
mal ein Viertel von dem, was Vitali versprochen hat. Da steckt ein Zettel mit im Umschlag, auf dem alle möglichen unverständlichen
Buchstaben und Zahlen stehen. So einen Unsinn hat es beim alten Knödel nicht gegeben. Da gab es nur Cash auf die Hand.
|173| »Abzüge – was soll das heißen?«, fragt sie Geta, die in der Nähe steht und ebenfalls ihren Lohn nachzählt. Ihr
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