Caravan
Sie krank wegen Mangelernährung. Zitrone ist gut. Da, rechts von Ihnen. Nicht teuer.
Wenn Sie Fisch machen, geben Sie ein paar Tropfen Zitrone dazu.«
Er nimmt eine Zitrone.
»Und Sie brauchen Ballaststoffe für guten Stuhlgang. Sie müssen Gemüse essen.«
»Wir essen viele Karotten. Jeden Tag Karotten.«
»Karotten sind sehr gut für Ballaststoffe und lebenswichtiges Vitamin A. Aber immer vorher gut waschen.«
»Danke für Ihren Rat, Lady.« Er versucht nicht zu auffällig auf die lockende braune Wölbung über ihrem Sari zu starren. Wirklich,
füllige Frauen können ziemlich sexy sein.
»Wissen Sie, in dieser Stadt sind zu viele arme Leute mit schlechter Ernährung. Betrunkene Matrosen. Arbeitslose Bergarbeiter.
Sie«, sie zeigt auf das Bild der Frau mit dem blauen Hut über der Theke, »ist ein gutes Beispiel, wie gute Ernährung hilft,
zu hohem Alter zu reifen.«
Er erfährt von der indischen Ladenbesitzerin, dass es auch hier ganz in der Nähe früher ein Kohlebergwerk gegeben hat, das
nach dem großen Streik von 1984 geschlossen wurde |189| . Jetzt versteht er, warum ihn die Stadt an Donezk erinnert. Damals war er zwar erst fünf, aber er erinnert sich lebhaft,
wie seine Eltern feierlich ihre goldenen Eheringe für die britischen Bergarbeiter gespendet haben. Was ist mit all dem Geld
passiert? Die ukrainischen Bergarbeiter könnten es heute gut gebrauchen.
»Ich suche einen Mann namens Vulk. Gangstertyp. Schwarz angezogen.«
Die Ladenbesitzerin schüttelt den Kopf. »In dieser Stadt gibt es zu viele Gangster heutzutage. Aber ich versichere Ihnen,
keiner davon setzt einen Fuß in meinen Laden. Ich würde jeden davonjagen.«
»Und ukrainisches Mädchen? Lange schwarze Haare. Sehr …« Sehr was? Ist sie hübsch? Ist sie schön? »Sehr … ukrainisch.«
»Ach, ukrainische Mädchen haben wir hier viele. Jede Nacht sieht man sie auf der Straße und am Strand, machen Sex für Geld.«
»Nicht diese.«
Die Inhaberin lächelt diplomatisch, und er verlässt den Laden übelgelaunt.
Zurück am Pier staunt er nicht schlecht, als er Emanuel von einer kleinen Menschenmenge umringt findet, in deren Mitte Vitali
steht. Vitali packt Andrij mit beiden Händen und umarmt ihn wie einen Bruder, wobei er Emanuel zur Seite schiebt.
»Mein Freund. Gut, dass du da bist. Wir haben ausgezeichnete Geschäftsmöglichkeit. Gute Arbeit. Gutes Geld. Du wirst reich.
Du kehrst nach Ukraine zurück als Millionär.«
Andrij macht sich aus Vitalis Umarmung los. »Was ist das für Möglichkeit?«
»Fabrik. Nur zwanzig Kilometer. Gute Arbeit gutes Geld. Alle hier«, er macht eine ausladende Geste, die das Dutzend |190| erfolgloser Angler um ihn herum einschließt, »kriegen gute Anstellung. Du und Emanuel auch. Zwanzig Pfund pro Stunde für dich.
Vorarbeiterlohn. Du machst Transport. Du nimmst den Caravan, tust alle rein, fährst sie zu Fabrik.«
Er muss den Zweifel in Andrijs Blick gesehen haben.
»Ich gebe dir Geld für Benzin.«
Doch Andrij zögert noch.
»Und für Transport. Wie viel willst du?«
Er zieht ein Bündel Geldscheine aus der Tasche. Es sind alles Zwanziger.
»Aber ich habe nur ukrainische Fahrerlaubnis. Für so viele Leute brauche ich vielleicht Spezialerlaubnis.«
»Ist kein Problem. Nur bei Fahrzeuge mit Sitze für mehr als acht Leute brauchst du Personenbeförderungsführerschein. Heute
sind alle moderne Transporter ohne Sitze.«
Das scheint eine seltsame Vorschrift zu sein.
»Der Wohnwagen ist nicht hier.«
»Kein Problem. Du holst ihn. Wir warten hier.«
Als Andrij und Emanuel mit dem Wohnwagen zurückkommen, ist die Menge noch größer geworden. Vitali steigt neben Andrij auf
den Beifahrersitz des Landrovers, Hund sitzt ihm zu Füßen. Emanuel und drei andere sitzen hinten, und etwa vierzehn Hoffnungsvolle
quetschen sich in den Wohnwagen. Die, die nicht auf die Betten passen, sitzen auf dem Boden, die Arme um die Knie geschlungen.
Andrij sieht, dass auch der Bulgare und seine Freunde darunter sind. Er wartet ab, bis Vitali fünf Zwanzigpfundscheine aus
dem Bündel abgezählt und sie ihm überreicht hat, bevor er auch nur den Motor anlässt.
Das Geld ist wohlverdient, denn mit so viel Gewicht an Bord bockt und schlingert der Wohnwagen wie verrückt, und es ist Knochenarbeit,
ihn auf der Straße zu halten. Er muss fast ständig im ersten Gang fahren, mit hundert Prozent |191| Konzentration, damit der Anhänger nicht in einer Kurve umkippt. So sind sie
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