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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Zehennägel sind lila lackiert. Das
     ist so unerwartet, dass |225| er sich zwingen muss, nicht auf ihre Füße zu starren. Irgendwie sind diese lila angemalten Zehennägel unglaublich sexy.
    Sie sieht die drei und den Hund überrascht an, dann nimmt sie den Zettel, den Emanuel ihr hinhält.
    »Ja, Toby wohnt hier. Aber im Moment ist er nicht da. Darf ich fragen, wer Sie sind?«
    »Ich bin Emanuel Mwere, und Toby ist mein Bruder. Vor zwei Jahren kam er in Freiwilligkeit nach Zomba, in die Nähe von Limbe,
     und in jener Zeit nahm unsere extreme Freundschaft ihren Anfang.«
    »Zomba in Malawi?«
    »Ja, Madam. Toby half in der Schule, welche dem Missionszentrum angesteckt ist, wo ich die Herstellung der Holzschnitzerei
     lernte, und Toby kam, um eine Holzschnitzerei zu erlangen.« Emanuel spricht vorsichtig, als hätte er Steine im Mund. Sein
     Wortschatz ist überraschend anspruchsvoll, findet Andrij.
    »O ja, ich erinnere mich an die Schnitzerei, die Toby mitgebracht hat. Wunderschön. Haben Sie sie gemacht?«
    »Leider nein, Madam. Die Holzschnitzerei, die Toby erlangte, stammte aus der Hand eines talentierteren Schnitzers. Unsere
     Freundschaft entsprang einer anderen Quelle. Ich errettete ihn einst aus den Fängen des Bösen, und wir schworen einander Bruderschaft.
     Mein Name ist Emanuel Mwere. Hat er nie von mir erzählt?«
    »Sie haben ihn gerettet?«
    »Ja, Madam. Vor der Einkerkerung im Gefängnis. Im Zusammenhang mit besonderen Substanzen.«
    »Aha.« Ein wissender Blick huscht über ihr Gesicht. »Kommen Sie doch bitte herein. Und die anderen   …?«
    »Das sind meine Freunde und Erdbeerpflücker. Irina, Andrij. Sie kommen aus Ukraine. Und unser prachtvoller Hund.«
    |226| Hund bellt und wedelt mit dem Schwanz. Sie beugt sich zu ihm und krault ihm den Kopf. Andrij kann sehen, dass der Hund sofort
     ihr Herz erobert hat.
    »Ich bin Tobys Mutter, Maria McKenzie. Kommen Sie doch herein. Sie sind bestimmt hungrig.«
    Durch einen hohen holzverkleideten Flur führt sie sie in die Küche des Hauses, die größer ist als die ganze Wohnung in Donezk,
     mit einem Kühlschrank so groß wie Großmutters Kleiderschrank, einer Glastür, die zum Garten führt, und einem langen Holztisch
     in der Mitte, auf dem eine Vase mit Blumen steht und eine Schüssel voller Erdbeeren. Der Anblick der Erdbeeren ist irgendwie
     deprimierend. Doch dann tischt sie ihnen ein Festmahl auf – viele seltsame und köstliche Gerichte, Blätter und Kräuter und
     Körner und Nüsse und Brot und Gemüse und Salate, Tomaten, Paprika, Radieschen, Oliven, Avocados, wie er sie bisher nur gesehen
     und noch nie gekostet hat, und dazu gibt es feine Joghurts und Soßen und so weiter, und nach der eintönigen und einseitigen
     Diät der letzten Wochen ist das ein so raffiniertes und erlesenes Geschmackserlebnis, dass er immer wieder zulangt und sich
     schließlich bremsen muss, weil er nicht will, dass sie denkt, er wäre am Verhungern, und er will auch nicht, dass Irina denkt,
     er hätte keine Manieren, obwohl, wen kümmert’s, was sie denkt? Verstohlen sieht er zu ihr hinüber und stellt fest, dass auch
     sie zugreift, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen – sie leckt sich sogar die Finger ab, was er sich nicht gestattet hat.
    Nur eine Sache enttäuscht ihn. Wo ist das Fleisch? In einem Haus wie diesem erwartet man doch ein dickes Steak, oder ein paar
     saftige Schweinekoteletts mit Knoblauch, oder wenigstens ein Stück gute Wurst oder Gulasch mit Knödeln. Als könnte sie seine
     Gedanken lesen, geht Maria McKenzie zum Schrank und nimmt eine große Dose heraus, auf deren |227| Etikett »Steak in Soße« steht. Daneben sind riesige Brocken glänzendes braunes Fleisch abgebildet. Andrijs Magen knurrt erwartungsvoll.
     Sie öffnet die Dose und leert den Inhalt in eine Schüssel. Dann stellt sie die Schüssel auf den Boden, und bevor er irgendwas
     sagen kann, hat Hund schon alles verschlungen.
    »Möchten Sie noch etwas?«, fragt sie.
    »Ja, bitte, Madam«, sagen Irina und er wie aus einem Mund. Ihre Blicke treffen sich, und sie müssen lachen. Auf Irinas Wangen
     sind wieder diese sexy Grübchen, und jetzt scheint sie gar nicht mehr so eingebildet. Maria McKenzie nimmt ein paar rohe Karotten
     aus dem Kühlschrank, schneidet sie in Streifen, dazu Sellerie und Gurke, und dann stellt sie eine Schale mit einer cremigen,
     nussigen Soße daneben. Es schmeckt ausgezeichnet. Aber heimlich sucht Andrij wieder Irinas Blick, und sie tauschen ein

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